Größere Ansicht anzeigenLeonard Cohen in Perth (Australien). Foto von Greg Ross für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

Liebe, Lust und Leonard

Exklusiv für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM: Ein sehr persönlicher Abschied von Leonard Cohen (21. September 1934 in Montreal - 7. November 2016 in Los Angeles)

"Music is the emotional life of most people" (Musik ist das emotionale Leben der meisten Menschen). Leonard Cohen

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Größere Ansicht anzeigenIntensiv wie immer: Leonard Cohen in Perth (Foto: Greg Ross für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

Es sind seltene musikalische Talente, die nicht nur über lange Zeit fortbestehen, sondern sogar, wie ein guter Rotwein, mit zunehmendem Alter besser werden. Leonard Cohens Stimme ist schon von jeher ein Paradox gewesen, ein Bariton, der jedoch nie mit der sich aufschwingenden Erhabenheit zum Beispiel eines Scott Walker verglichen werden konnte. Cohens frühe Stimme war nasal und durchdringend, allerdings gleichzeitig fesselnd und von geradezu hypnotischer Qualität. In einem seiner Songs hieß es " .your words do not compel me." ("Deine Worte sind nicht verbindlich für mich"), aber das waren sie sehr wohl, und sie sind es noch. Mit der Hilfe einer Unmenge von Zigaretten und Whiskey gleichermaßen wurde mit der Zeit aus jenem schrillen Lamentieren der frühen Jahre die imposante, ernste, raue Stimme eines Gottes.

Mit Songtexten und Gedichten, die tief in das Herz von Liebe, Lust, Krieg, Lügen und des Lebens selbst drangen, wurden die Worte zu seinen Liedern, seine Lieder zu seinen Worten und die Lieder insgesamt somit zu überzeugenden Botschaften, die Menschen in der ganzen Welt ansprachen.

Leonard trat 1967 beziehungsweise früh im Jahr 1968 in mein Leben, als ich ein sechzehnjähriger Junge in Auckland, Neuseeland war. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch überwältigt von Dylans wunderbarem "Highway 61 Revisited", nichts hatte mich darauf vorbereitet, nicht einmal die Stones; Scott Walker führte diejenigen von uns, die bereit dazu waren, auf eine herrliche Entdeckungsreise durch das Werk Jacques Brels, und die Moody Blues produzierten großartige, symphonische Rockalben. Musikalisch konnte es nicht besser werden! Zumindest dachte ich das.

Dann, eines Nachts, spielte Neuseelands Piratensender Radio Hauraki Leonard Cohens "Suzanne". Ich war genauso sprachlos wie beim ersten Hören von Dylans "Like A Rolling Stone". Es heißt oft, dass ein Bild mehr wert ist als tausend Worte, aber hier war jemand, der lebendigste Bilder mit einigen wenigen, sorgfältig gewählten Worten malen konnte.

Elvis verließ das Gebäude, Scott Walker gab alles auf, die Stones ruhten sich nur noch auf ihren Lorbeeren aus und Dylan wurde unberechenbar, doch Cohen wurde immer besser. Wenn ich zurückblicke, ist sein Werk über die letzten 50 Jahre hinweg die Begleitmusik meines Lebens gewesen, und seine Leider haben vor zwei Jahren sogar zu meiner Heirat geführt.

Größere Ansicht anzeigenSigned by Leonard Cohen (Archive Ross/www.spirit-fanzine.de)

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ann und ich uns jemals treffen würden, war so gut wie null - immerhin kaufte ich meine erste Leonard Cohen - Platte gute zehn Jahre, bevor sie geboren wurde. Bei ihr zu Hause, in der deutschen Kleinstadt Warendorf, spielte ihre Mutter oft Leonards Alben, aber erst, als Ann in den späten 90er Jahren als Gaststudentin in Oxford war, entdeckte sie wirklich ihre Liebe zu Leonard Cohen und seiner Musik. Ihr "Erweckungserlebnis" hat durchaus Züge Cohenschen Humors. Ein anderer Gaststudent, vielleicht Leonards eigener Maxime als Student folgend, dass Worte das Herz von Frauen öffnen, schenkte ihr eine Aufnahme mit Cohens Songs. Später fand sie heraus, dass er allen Mädchen, mit denen er ausgehen wollte, ein Exemplar gegeben hatte, was die coole, intellektuelle Aura, die er sich hatte verleihen wollen, durchaus trübte. Sie ließ ihn fallen, aber behielt die Kassette, und machte Leonard Cohen immer mehr zum musikalischen Begleiter auch ihres Lebens.

2009 lebte sie in Münster, sie schrieb inzwischen an ihrer Doktorarbeit und war, wie so viele Fans weltweit, begeistert, dass Cohen unerwartet eine Tournee gestartet hatte, was niemand erwartet hatte (damals war er bereits 75), und die Kritiker überschlugen sich mit Lob, was seine mindestens dreistündigen Konzerte betraf. Als sehr aktives Mitglied des Leonard Cohen Forums im Internet fiel ihr eine Besprechung auf, die ich über Leonards Konzert in Perth (Westaustralien) geschrieben hatte, und sie kontaktierte mich.

Die Liebe zwischen uns wuchs im Einklang mit unserer gemeinsamen Liebe zu Leonard Cohen, und wir reisten um die Welt und sahen zusammen seine Konzerte in Dublin, Berlin und Perth. Wir heirateten schließlich in Perth, kurz vor Weihnachten 2014. Unser Hochzeitslied war Cohens "Dance Me To The end Of Love".

Das Konzert in Perth 2013 hat eine ganz besondere Bedeutung für uns - befreundete Forumsmitglieder aus Frankreich und Holland reisten eigens an, um das Konzert zu sehen, und wir nahmen eine sehr gute Freundin mit, die an Brustkrebs im Endstadium litt und als deren letztes Konzerterlebnis sich Leonards Show herausstellen sollte. Und obwohl Ann Leonard schon einmal persönlich getroffen hatte (mit ihrer Mutter in Köln 2009), war mit diese Gelegenheit bisher verwehrt gewesen. Die Götter waren uns wohlgesonnen und wir trafen ihn kurz; liebenswürdig signierte er Bücher und ein Foto, welches in vier Jahre zuvor bei seinem Auftritt in Perth gemacht hatte. Wir waren jedoch bestürzt, wie zerbrechlich und kränklich Leonard wirkte; als wir uns verabschiedet hatten, waren wir uns einig, dass die Tournee würde aufhören müssen, und dass es unserem Mann, aus welchem Grund auch immer, nicht gut ging. Vielleicht ist es im Kontext dieser persönlichen Erzählung angemessen, dass Leonards letztes Konzert in Auckland stattfand, denn immerhin ist das der Ort, an dem meine Begeisterung für seine Musik und ihn selbst ihren Anfang genommen hatte.

Größere Ansicht anzeigenJust married: The Australian team of SPIRIT - A SMILE IN THE STORM www.spirit-fanzine.de: Gregg Ross & Dr. Ann-Kristin Aschenbrenner Ross (photo;: Archive Ross)

Alle zwei Jahre treffen sich die Mitglieder des Leonard Cohen Forums in einer Stadt irgendwo auf der Welt, um Cohen zu feiern. Dieses Jahr, Mitte August, wurde die Veranstaltung in Amsterdam abgehalten; diejenigen von uns, die teilnahmen, hatten das Glück, dass Leonard sich entschlossen hatte, uns eine Vorschau auf sein neues Album "You Want It Darker" zu ermöglichen, drei Monate vor dem offiziellen Erscheinungstermin - wie viele andere Künstler würden einem einfallen, die ihren Fans solchen Respekt zuteil werden lassen?

Der Ton des Albums war in der Tat düster, ich fühlte mich sofort an David Bowies "Lazarus" erinnert - brillant, aber tief erschütternd, und offensichtlich ein Schwanengesang, obwohl ich mich entschied, diesen Gedanken Ann (oder irgendjemand anders) nicht mitzuteilen, wir waren alle überglücklich, dass unser Mann ein neues Album herausgebracht hatte.

Und so finden wir uns im späten November, und Leonard ist weitergezogen. Ich habe keinen Zweifel, dass er mit seinem Gott über heilige Schriften und mit anderen Göttern des Rock über Musik debattiert, ganz sicher mit einem reichen Vorrat von Johnny Walker und Château Latour. Ann hat seinen Tod noch nicht verarbeitet, aber ich denke, es war eine gnädige Erlösung und ziehe meinen Hut vor Cohen, aus schierer Freude und Dankbarkeit für sein Werk, das er auch kommenden Generationen hinterlassen hat. Dem Forum treten täglich neue Mitglieder bei, das nächste zweijährige Treffen wird 2018 in Budapest stattfinden, und in den Zwischenjahren finden wir uns stets inoffiziell auf Hydra zusammen, der griechischen Insel, die in den 1960ern Leonards geliebtes Zuhause war.

Ich vermute, die Legende Cohens wird über die Zeit wachsen und nahezu mythische Dimensionen annehmen; unsere Welt wird niemanden wie unseren jüdisch-buddhistischen Mönch mehr hervorbringen, aber wie er es selbst so prophetisch schrieb:

"But you'll be hearing from me baby, long after I'm gone / I'll be speaking to you sweetly / From a window in the Tower of Song". ("Aber Du wirst von mir hören, Baby, lange nachdem ich fort sein werde / Ich werde lieblich zu dir sprechen, / Von einem Fenster im Turm des Gesanges aus").

Englische Version / English version

Greg Ross am 24. November 2016 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.com / www.spirit-fanzine.de

Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Ann-Kristin Aschenbrenner-Ross am 24. November 2016 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.com / www.spirit-fanzine.de