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Poesie und Politik

Zum Tod von Schauspieler-Legende Omar Sharif (10. April 1932 - 10. Juli 2015)

von Marc Hairapetian

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Langsam wird es unheimlich. In den letzten Wochen erreichen uns die Todesnachrichten von Leinwandgrößen quasi im Tagestakt. Mit einer gewissen kollektiven Trauer im Herzen muss man feststellen, dass von den Kinoidolen der 1960er und 1970er Jahre bald keines mehr am Leben ist. Nun also auch Omar Sharif. Ein Bild von einem Mann! Die Anziehung ging von seinen traurigen Augen aus, die fast immer zum Weinen bereit waren, aber es aus Klugheit nur selten taten.
 Die Tragik des Schicksals wollte es so, dass der am 10. April 1932 in Alexandria als Maechel Chalhoub geborene Ägypter mit libanesisch-syrischen Wurzeln am vergangenen Freitag an einem Herzinfarkt starb genauso wie in seiner größten Rolle als Doktor Schiwago im gleichnamigen weltweiten Kassenhit aus dem Jahr 1965. In David Leans wundervoller Breitwand-Adaption von Boris Pasternaks Roman über die russische Revolution gelang ihm der schwierige Spagat zwischen Poesie und Politik. Omar (El-)Sharif, wie er sich seit 1953 nannte, war auch jenseits von Filmateliers ein politisch denkender Mensch. So begrüßte er vor drei Jahren den arabischen Frühling: "Ich glaube, das ist eine gute Sache, besonders für Ägypten. Und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir eine richtige Demokratie sein werden. Besonders hoffe ich, dass die Armee nicht eingreifen wird, sondern nur ihre Aufgabe erfüllt, das Land nach außen zu schützen." Im Land der Pyramiden startete der studierte Mathematiker und Physiker mit dem ausgeprägten Interesse für die schönen Künste und die westliche Kultur seine Filmkarriere in "Siraa Fil-Wadi" ("Tödliche Rache", 1953) unter der Regie von Youssef Chahine. Mit dem tunesisch-französischen Film "Goha" (Regie: Jacques Baratier) kam 1958 beim Festival in Cannes der Durchbruch. In der Dreiecksgeschichte hatte übrigens Claudia Cardinale ihren ersten Filmauftritt.
 Ein Besuch bei Krikor Melikyan in seiner im Hansaviertel gelegenen, großräumigen Altbauwohnung kommt einem Museums-Besuch für Theater- und Kunstgeschichte gleich. Der Balkon-Aussicht vom vierten Stock auf die Spree ist reizvoll. Hat man sich davon losgelöst, mag man den Blick von den zahlreichen Fotografien (darunter Bilder der eigenen Karriere und von all seinen mittlerweile leider verstorbenen Hunde) und den (mitunter erotischen Frauen-)Gemälden nicht wenden, wenn, ja, wenn da nicht, der überaus liebenswürdige Herrscher über dieses Reich wäre: Man mag es kaum glauben, aber der mittelgroße Gentleman mit dem markanten Schnurrbart könnte man gut 20 Jahre jünger schätzen, als das Alter, dass im Pass angeben wird und unaufhaltsam auf die magische Zahl 90 zusteuert.
 Sharif konvertierte 1955 vom Christentum zum Islam, um die in diesem Januar ebenfalls verstorbene Schauspielerin Faten Hamama zu heiraten. Zum Weltstar avancierte er als ihn David Lean in seinem Meisterwerk "Lawrence von Arabien" (1962) an der Seite von Titelheld Peter O´Toole als Sherif Ali besetzte. Unvergesslich seine Einführung in die Handlung, wenn er vom Wüstenhorizont kommend "El Aurens" und somit auch dem Zuschauer minutenlang entgegen reitet. Gleich zwei Golden Globes erhielt Sharif 1963 (als Bester Nachwuchsdarsteller und Bester Nebendarsteller, ein dritter folgte 1966 als "Bester Hauptdarsteller" für "Doktor Schiwago") sowie eine Oscar-Nominierung. Die Freundschaft mit dem Iren O´Toole hielt ein Leben lang. 1967 spielten die beiden nochmals zusammen: In Anatole Litvaks Wehrmachts-Thriller "Die Nacht der Generale" gab Sharif trotz seines orientalischen Aussehens mit geglätteten Haaren überzeugend den in einer Prostituierten-Mordserie ermittelnden Major Grau.
 Der Rest ist ebenfalls Legende: Sharif war "Dschingis Khan" (1965), der Partner von Barbara Streisand im Musical "Funny Girl", Che Guevara in "Che!" (beide 1968) und der Lehrer Vogel in der letzten auf 65-mm-Film gedrehten Todd-AO-Produktion "Das vergessene Tal" (1971). Mehrfach verkörperte er Armenier: So als König Sohamus in Anthony Manns Breitwand-Epos "Der Untergang des Römischen Reichs" (1964) oder als Familienoberhaupt Hagop in Henri Verneuils Völkermord-Drama "Mayrig - Heimat in der Fremde" (1991), indem er abermalig mit Claudia Cardinale agierte. Einen Alters-Erfolg feierte er 2003 in "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran". Den professionelle Bridge-Spieler und Pferdesport-Narren, der seit seiner Scheidung 1974 nur noch in Hotels lebte und in diesem Jahr an Alzheimer erkrankte wie sein Sohn Tarek vermeldete, konnte man zuletzt in Valeria Bruni Tedeschis "Rock the Casbah" (2013) sehen. Nun ist "Ägyptens Sonne" untergegangen. Doch wenn man sich seine Filme erneut anschaut, wird sie wieder scheinen.

Marc Hairapetian am 11. Juli 2015 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de