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Das Glück hinter der Maske

Zum 100. Geburtstag des englischen Charaktermimen Sir Alec Guinness

von Marc Hairapetian

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"Schauspieler scheinen die einzigen Leute zu sein, die nichts dagegen haben, dass man sie als betrunken und liederlich schildert.", sagte der für seine Selbstironie bekannte Alec Guinness (2. April 1914 - 5. August 2000) einmal, um mit gespielter Resigniertheit fortzufahren: "Sie geben es auf, sich aufzuregen über die falschen Vorstellungen, die man sich von ihrer Arbeit macht." Letzendlich traf er mit dieser Aussage aber "Des Pudels Kern". Für den gleichnamigen Film wurde er übrigens 1959 ausnahmsweise mal nicht als Bester Haupt- oder Nebendarsteller für den Oscar nominiert, sondern als Drehbuchautor.
 Der in Marylebone (London) geborene Charaktermine, der ebenfalls im Jahre 1959 von Königin Elizabeth für seine Verdienste um die Schauspielkunst in den Adelsstand gehoben wurde, hatte zeitlebens etwas gegen Starrummel und war selbst sein grösster Kritiker: Zwei seiner erfolgreichsten Rollen - den Academy Award gekürten prinzipientreuen Colonel Nicholson in japanischer Kriegsgefangenschaft in David Leans "Die Brücke am Kwai" (1957) und den weisen Obi-Wan Kenobi in George Lucas' optisch spektakulärem, inhaltlich aber arg naivem Science-Fiction-Märchen "Krieg der Sterne" (1977), verabscheute er regelrecht. So weigerte er sich - wie sein jüngerer Kollege Terence Stamp - "Star Wars"-Autogrammwünsche zu erfüllen. Und auch von seiner von Romanautor John le Carré überschwenglich gelobten Interpretation des Meisterspions in Ruhestand, George Smiley, in der Fernsehproduktion "Dame, König, Ass, Spion" (1979) hielt er nichts: "Wahrscheinlich habe ich's vermasselt..."
 Der Meister des Understatement, der laut Titel seiner Autobiographie "Das Glück hinter der Maske" fand, musste lange Zeit gegen das Klischee des arroganten Teetrinkers ankämpfen - und dies obwohl er bereits in den Anfängen seiner Film- und Theaterkarriere ein besonderes komödiantisches Talent und eine enorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen konnte.
 Gerade sein unscheinbares Gesicht, umrahmt von einem spärlichen Haarkranz, bot die ideale Fläche für unterschiedlichste Figurentypen, denen er mittels Maske und überbordender Spielfreude Leben einhauchte.
 Der aus einfachsten Verhältnissen stammende ehemalige Werbetexter wurde unehelich unter dem Nachnamen Guinness de Cuffe geboren. Seine Mutter verschwieg ihm zeitlebens den leiblichen Vater: "Ich wurde im Chaos geboren und versank darin für Jahre. Bis zum Alter von 14 hatte ich drei verschiedene Namen und lebte in ungefähr 30 Hotels".
 1936 verpflichtete ihn das legendäre Theater Old Vic, wo er in Lustspielen oder mit der Gestaltung von zwielichtigen Figuren für Furore sorgte. Wie einst Werner Krauss im Nazi-Propaganda-Film "Jud Süss" brillierte Alec Guinness in David Leans Leinwand-Adaption von Charles Dickens' "Oliver Twist" (1948) in der Rolle des hinterhältigen Juden Fagin, beförderte aber damit auch alte antisemitische Klischees. Mit Lean drehte er fünf weitere Filme: "Grosse Erwartungen" (1946), "Die Brücke am Kwai" (1957), "Doktor Schiwago" (1965), "Die Reise nach Indien" (1984) und natürlich "Lawrence von Arabien" (1962), wo er als Fürst Feisal wohl die beste Leistung seiner ruhmreichen Karriere ablieferte. Zieht er anfangs noch hoch zu Ross reitend mit wütender Verzweiflung den Säbel gegen die Flugattacken des osmanischen Gegners, beweist er später in Verhandlungen mit den Briten um "El Aurens" alias Peter O' Toole diplomatisches Geschick.
 Guinness konnte mühelos in andere Ethnien schlüpfen und realhistorische Gestalten verkörpern, so den um den "Pax Romana" bemühten Kaiser Marcus Aurelius in Anthony Manns genialer Geschichtslektion "Der Untergang des römischen Reiches" (1964), den "Führer" des Dritten Reichs in Ennio De Concinis "Hitler - Die letzten zehn Tage" (1972) oder Franz Kafkas undurchsichtigen Vorgesetzten in Steven Soderberghs (fiktionalem) Biopic "Kafka" (1991).
 Der streng gläubige Ausnahmekünstler, der zusammen mit seiner nur zwei Monate nach ihm verstorbenen Gattin nach der vollständigen Genesung seines schwer erkrankten Sohnes zum Katholizismus konvertierte, bezeichnete den unkonventionellen Geistlichen den er in "Die seltsamen Wege des Pater Brown" (1954) verkörpert hatte, als seine Lieblingsrolle. Der Stellenwert, den der an Leberkrebs verstorbene Sir Alec Guinness noch heute hierzulande hat, wird deutlich in einer kleinen, aber feinen Filmretrospektive im Nachtprogramm der ARD. Eine Ehrung die dem grössten US-amerikanischen Schauspieler aller Zeiten, Marlon Brando, der am 3. April seinen 90. Geburtstag feiern würde, leider nicht zuteil wird.

Marc Hairapetian am 1. April 2014 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de