Röntgenaufnahme eines Könners

Zum 80. Geburtstag des Filmemachers Antonio Isasi-Isasmendi

Von Marc Hairapetian




Drucken

Es ist schon paradox: Er drehte mit „Unser Mann aus Istanbul“, „An einem Freitag in Las Vegas“ und „Summertime Killer“ Filme, die in den 1960er und 1970er Jahren weltweit die Kinokassen klingeln ließen und heute längst Kultstatus besitzen, doch sein Name ist anno 2007 über seine spanische Heimat nur eingefleischten Cineasten bekannt: Regisseur; Produzent und Drehbuchautor Antonio Isasi-Isasmendi ist ein Pionier des formal außergewöhnlichen Action-Thrillers, der darüber hinaus auf ironisch-anspruchsvolle Weise zu unterhalten versteht. Filmemacher wie Quentin Tarantino und Robert Rodriguez, die sich mehr oder weniger unvermittelt auf ihn beziehen, ernten heute mit ihren schicken Retro-Spektakeln die Saat, die er einst als kinematographischer Innovator ausgestreut hat. Die Revolution frisst hier ihren eigenen Vater: In den Annalen der Kinohistorie wird Tarantino und Rodriguez schon jetzt mehr Platz eingeräumt – ein in gewisser Hinsicht tragischer Umstand, denn der hemmungslose Stilist Isasi-Isamendi, der Hoch- und Subkultur mit einem diabolischen Lächeln gegeneinander ausspielte, war als Prophet einfach zu früh am Start: Ein Rufer in der Wüste, der stets sein Werk für sich sprechen lässt, damals aber noch nicht über die Marketingstrategien seiner heutigen geistigen Erben verfügen konnte.

Am 22. März 1927 in Madrid als José Antonio Isasi-Isasmendi geboren, lernte der sein Handwerk von der Pieke auf: In jungen Jahren arbeite er sich bei der Produktionsfirma Emisora Films vom Assistent Manager und Cutter zum Regisseur hoch. Mit der 13minütigen Dokumentation „Barcelona es bona“ legte er 1950 eigenverantwortlich einen mustergültigen Tourismus-Werbefilm vor. Nach dem noch wenig beachteten Spielfilmdebüt „Relato policíaco“ (1954) gelang ihm mit der ersten Arbeit seiner von ihm 1955 begründeten Producciones Isasi ein erster größerer Wurf: In dem neorealistischen Familiendrama „La Huida“ machen sich Juan und Sita nach dem Tod ihrer Mutter von Madrid nach Rom auf, um ihren Vater aufzusuchen. Doch als sie dessen Sekretär, der für Kinder nichts übrig hat, kühl empfängt, nehmen sie reiß aus und erleben allerhand Abenteuer: So begegnen sie einem sterbenden Gangster, einem gutherzigen Priester, einem eitlen Bohemien, einer jungen Frau und schließlich einer ganzen Bande von Kriminellen, bis sie endlich ihr Vater in die Arme schließen kann...

„Das Geheimnis des Scaramouche“ ein tempogeladenes Remake des Mantel-und-Degen-Klassikers „Scaramouche, der galante Marquis“ (1952), ließ Isasi-Isamendi 1963 erstmals auch im großen Stil den internationalen Markt erobern. Der Franzose Gérard Barray, der als D’Artagnan in dem Zweiteiler „Die drei Musketiere“ populär wurde und um die Jahrtausendwende mit „Abre los ojos“ ein großartiges Comeback feierte, ist zwar nicht Stewart Granger, dennoch zieht er sich als weltläufiger Elegant sehr gut aus der (fechterprobten) Affaire. Fortan setzte der Krimi-Fan Isasi-Isasmendi verstärkt auf west- und südeuropäischen Koproduktionen: Mit seiner „Operación Estambul“ (der spanische Arbeitstitel wurde bald in „Estambul 65“ umgewandelt) gelang ihm eine glänzende James-Bond-Parodie: „Unser Mann aus Istambul“ (so der deutsche Verleihtitel) war kein Geringerer als Horst Buchholz, der durch „Tiger Bay“, „Die glorreichen Sieben“ und „Eins, zwei, drei“ auf der Vorstufe zum Weltstar stand. Reihenweise hatte er Filmangebot um Filmangebot ablehnt, darunter Hauptrollen in David Leans „Lawrence von Arabien“ und Luchino Viscontis „Rocco und seine Brüder“, den Spaß mit Isasi-Isasmendi zu arbeiten, gönnte er sich aber. In der überdrehten Spionage-Story, in der Härte und Humor nicht zu kurz kommen, spielt der jungenhafte Draufgänger laut augenzwinkernder Regie-Anweisung mitunter direkt in die Kamera. Dieses sich unmittelbare an das Publikum wenden ist zugleich eine Persiflage zeitnaher Godard-Filme. Ihm zur Seite gestellt ist unter dem Motto „Was sich neckt, das liebt sich“ die von Sylva Koscina verkörperte verführerische FBI-Agentin Kenny. Schurkenparts übernehmen unter anderem Mario Adorf und Klaus Kinski, der wiederholt einen ganz und gar ekligen Profikiller gibt, diesmal aber selbst auf äußerst brutale Weise vom ungedoubelten Buchholz ins (filmische) Jenseits befördert wird. Rasante Verfolgungsjagden und atemberaubende Action, bei der die Kaskadeure an türkischen Originalschauplätzen schwer ins Schwitzen kamen, veranlassten 1965 das „Nationale Syndikat für Spektakel“ aus Spanien, den Preis für den Besten Regisseur an Isasi-Isasmendi zu verleihen. Nicht nur in seiner Heimat brach der Reißer Kassenrekorde, auch in Deutschland und den USA war er ein regelrechter Hit

Sein nächster Film hat viele Titel, in jedem Land einen anderen; der deutsche ist noch am unspektakulärsten: „An einem Freitag in Las Vegas“ ist Isasi-Isasmendis Meisterwerk und ein absoluter Meilenstein in der Geschichte des Caper-Movies. Selbst Jules Dassins „Rififi“ (1954), Stanley Kubricks „Die Rechnung ging nicht auf“ (1955) und Henri Verneuils „Der Clan der Sizilianer“ (1968) verblassen gegen Isasi-Isasmendis pan-europäisches Konsortium aus dem Jahr 1968, in dem gut angelegte spanische, französische, italienische und deutsche Gelder steckten. In den US-Kinos hieß der fulminante Pop-Art-Thriller, der auf einem Roman André Lays basiert, weniger bescheiden „They Came to Rob Las Vegas“, in Spanien gar „La Vegas, 500 milliones“. Italiens Verleihtitel wird dem Feuerwerk aus Gewalt, Erotik, Musik und Lakonie am ehesten gerecht: „Radiografia di un colpo d’oro“, was übersetzt „Röntgenaufnahme eines Glückstreffers“ heißt, langweilt keine der insgesamt 128 Minuten. Bis auf einige Hubschrauberaufnahmen am Ende kommt der Film ohne Kamerafahrten aus, mittels Schnitt erzeugt der spanische Ausnahmecineast Isasi-Isasmendi Spannung und Tempo. Gary Lockwood, der durch seinen Astronauten Frank Poole in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ zu Ruhm gekommen war, spielt hier unter dem Namen Tony Ferris das Alter Ego des Regisseurs (Hotte Buchholz trug in „Unser Mann aus Istambul“ übrigens denselben Vornamen). Er will seinen älteren Bruder Gino („Rififi“-Hauptdarsteller Jean Servais) rächen, der bei einem Überfall auf den kugelsicheren Geldtransporter des Unternehmers Steve Skorsky (Lee J. Cobb) umgekommen ist. Mit Hilfe von dessen Sekretärin Ann Bennett (Elke Sommer) bereitet er einen spektakulären Coup vor. Es gelingt ihm tatsächlich den bestens gesicherten Panzerwagen, der neben den darin befindlichen Geldkisten noch ein wahrhaft goldenes Geheimnis in sich birgt, mitten in der Wüste von Nevada von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Alles läuft wie geplant, bis sich seine LSD-konsumierenden Komplizen selbstständig machen...

„The scene was the wildest freak-out in Vegas history... and the gig was to grab it all“, wurde auf Plakaten im anglo-amerikanischen Raum geworben. Der Slogan ist nicht übertrieben. Isasi-Isasmendi hat um sich herum ein glänzend aufgelegtes Allstar-Ensemble versammelt, das sich mit hard boiled action durch die swinging sixties tobt. Die neuesten Überwachungsgeräte, die die totale Kontrolle vorgaukeln, stehen in dem Thriller dabei im ironischen Gegensatz zu dem unberechenbaren Verhalten der Figuren. Der Mensch als Störfaktor verhindert also wieder einmal das perfekte Verbrechen. Neben der grandiosen Regieführung, dem intelligenten Drehbuch (bei dem Isasi-Isasmendi als Koautor fungiert) und der illustren Besetzung ist der vollorchestrale Jazzpop-Soundtrack des armenischen Komponisten Georges Garvarentz (1932 – 1993) ein weiterer Star des Films. Seine musikalischen Stilmittel wurden später vom „Blaxploitation“-Kino der 1970er Jahre übernommen. Die Verwendung von E-Gitarre und schmetternden Bläsersätzen geben dem furios-majästätischen Hauptstück „Last Trip of the Truck“ unverwechselbaren Charakter, wobei der A Capella aufgenommene „Wordless Song“ Poesie und Melancholie der aus Liebe zu Lockwood sich in den Strudel der Ereignisse ziehen lassenden Elke Sommer charakterisiert. (Lange Zeit war die LP mit dem kompletten Score des Schwagers von Charles Aznavour eine Rarität, nun ist bei Harkit Records eine klangtechnisch hervorragende CD herausgekommen.) In der grandiosen Schlusseinstellung werden mittels Splitscreen alle Handlungsstränge und überlebende Protagonisten zusammengeführt. Wenn Tonys durchgeknalltes und latent homosexuelles ehemaliges Gang-Mitglied Cooper (Fabrizzio Capucci) am Ende den Geldtransporter unterhalb des Wüstenbodens aufsprengt, um sich dabei selbst in die Luft zu jagen, und all die Geldscheine samt Skorskys geschmuggelter Goldbarren in einer Staubwolke, die an einen Atompilz erinnert, durch die Luft wirbeln, bewahrheit sich einmal mehr die alte Volksweisheit: Unrecht Gut gedeiht nicht. Eine darstellerische Bravourleistung liefert der als „quiet actor“ bekannte Lockwood ab, der in ein mehr belustigtes denn irres Gelächter ob der Absurdität der Situation ausbricht. Im Gegensatz dazu verharrt die ungemein sexy wirkende Elke Sommer an der Schulter ihres gebrochenen Helden wie eine griechische Tragödin. Lockwood bezeichnet auch fast 40 Jahre nach den Dreharbeiten Isasi-Isasmendi als „positiv Verrückten“. Dieser heimste für seine „Las Vegas“-Hommage Preise für den besten Film des Jahres sowohl vom spanischen Cinema Writers Circle (CEC) ein, als auch vom „Nationalen Syndikat für Spektakel“.

Um Rache ging es auch 1972 in „Un Verano para matar“ (internationaler Verleihtitel: „Summertime Killer“). Darin muss ein sechs Jahre alter Junge ansehen, wie sein Vater von einer Bande totgeschlagen wird. 20 Jahre später eliminiert er Mann um Mann des Mafia-Clans. Während dessen Oberhaupt ihn auslöschen will, heftet sich auch ein Polizeidetektiv an seine Spuren. Dieser wird wie in den „Strapen von San Francisco“ sehr menschlich von Karl Malden verkörpert. In der Hauptrolle als „Sommermörder“ gibt Robert Mitchums Sohn Chris keine schlechte Figur ab. Wieder erhielt Isasi-Isamendi den CEC-Award als bester Regisseur. Nach dem halbdokumentarischen Porträt über den Performer „Rafael un Raphael“ (1975), indem er auch mitspielt, widmete er sich 1976 mit „El Perro“ („A Dog Called... Vengeance“) dem Politthriller zu: Ein politisch Inhaftierter flieht in einer südamerikanischen Diktatur aus dem Gefängnis und wird durch das ganze Land von einem blutdürstigen Hund verfolgt. Nach einer zwölfjährigen Regiepause, in der er unter anderem das Drehbuch zur Miniserie „Goya“ (1985) schrieb, feierte der kompromisslose Cineast, der 1981 der Wettbewerbs-Jury der Internationalen Filmfestspiele Berlin angehörte, mit „El Aire de un crimen“ („Scent of a Crime“) ein vielbeachetes und hochdekoriertes Comback in seinem Lieblingsgenre, dem raffiniert in Szene gesetzten Action-Thriller.

Isasi-Isasmendi, der aus der Beziehung mit der Schauspielerin Marisa Paredes die Tochter María Carlota Isasi hat, gründete mit Moon Films eine weitere Produktionsgesellschaft. 2000 erhielt er den Ehren-Goya, den mittlerweile bedeutendsten spanischen Filmpreis, „für eine Karriere, die dem Kino gewidmet ist.“ Wenigstens zählt in diesem Fall der Prophet im eigenen Land noch etwas. Tarantino und Rodriguez sollten allerdings nicht vergessen, anstandshalber demnächst Tantiemen für ihren Ideenklau beim Maestro zu überweisen.

Marc Hairapetian