Zivilisierte Erotik

 

Femme Fatale ohne Skandal: Zum 100. Geburtstag der Schauspielerin Claudette Colbert

 

Von Marc Hairapetian

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Die große Ambition der Frauen ist die Ermutigung zur Liebe.“, schrieb Moliere einmal. Kaum eine andere Schauspielerin hat diesem Credo in ihren Filmen mit derart sanfter Sinnlichkeit entsprochen wie Hollywoods Vorzeigepariserin Claudette Colbert. Doch nicht nur die Männer, auch die Frauen waren fasziniert von ihrem Charme, ihrer Stimme, die in den wohligsten Momenten dem Gurren einer Katze gleichkam, und ihrer bei aller Erotik fast kindlichen Art von Unschuld. In den 1930er und 1940er Jahren galt sie als augenscheinlichste Vertreterin der „Traumfabrik“ von gemäßigter Kapriziösität und nicht all zu offensiver Frivolität. Auch später blieb sie stets Dame. So weigerte sie sich Rollen anzunehmen, die nicht diesem Image entsprachen. Nicht der kurzlebige Ton der grellen Verrücktheiten war ihre Erkennungsmarke, sondern immer die zeitlose Eleganz fern aller Jahreszeiten. So blieb Claudette Colbert vorderrangig die Spezialistin für leichtfüßige, amüsante Leinwandkomödien. Ihre Ausstrahlung lag genau in der Mitte zwischen der schlampigen Sexsirene Jean Harlow und der mystisch-unantastbaren Greta Garbo. Der Königin der zivilisierten Erotik bescheinigte ihr Landsmann Maurice Chevalier einst eine „Mischung aus französischer Persönlichkeit und amerikanischer Sportlichkeit“. Damit angelte sie sich die Traummänner jener als „golden“ apostrophierten Hollywood-Dekade. Filmpartnern wie Spencer Tracy, Fredric March, James Stewart, Charles Boyer, Melvyn Douglas, Gary Cooper, John Wayne, Joseph Cotton, Orson Welles oder Henry Fonda verdrehte sie den Kopf. Die Liste der Regisseure war von Cecil B. DeMille und Ernst Lubitsch über John Ford und Preston Sturges, bis zu Frank Capra und Mitchell Leisen nicht minder namhaft. Privat blieb sie indes ohne Skandale. Allüren leistete sie sich nur am Set: Mit dem Selbstbewusstsein eines echten Stars ausgestattet, bestand sie darauf, bei Profilaufnahmen nur von links gezeigt zu werden. (Als junges Mädchen hatte sie sich bei einem Unfall die Nase gebrochen und eine winzige Narbe auf der rechten Wange zurückbehalten.) Andererseits besaß die Colbert auch eine gesunde Distanz zu ihrem Metier: „Überstunden“ verabscheute sie. War ein Drehtag beispielsweise bis 18 Uhr angesetzt, verabschiedete sie sich um genau diese Zeit lächelnd von ihren Kollegen mit den Worten „Meine Herren, wir sehen uns morgen wieder“, egal ob noch eine Szene wiederholt werden musste oder nicht. Welcher Star würde das heute noch wagen?

In Paris als Lily Claudette Chauchoin am 13. September 1905 (andere Quellen nennen das Jahr 1903) geboren, kam die Tochter eines Bankangestellten als Kind nach New York und besuchte hier auch die Schule: „Ich war immer die Kleinste in der Klasse“, sagte sie in einem Interview, um zu erklären, welche Vorteile das haben kann: „Wenn mir langweilig war und ich ein bisschen lesen wollte, dann brauchte ich mich nur hinter den anderen zu verstecken. Die Lehrerin hat nie gesehen, ob ich da bin oder nicht.“ Ursprünglich wollte Claudette Modedesignerin werden und begann ihre Berufslaufbahn dann auch folgerichtig in einem Bekleidungsgeschäft. Um sich etwas Geld dazu zu verdienen, erteilte sie Unterricht in Französisch. 1923 vermittelte ihr eine Freundin einen kleinen Auftritt in dem Bühnenstück „Wild Westcotts“. Diese erste Sprechrolle hatte genau drei Zeilen, aber das genügte, um ihr einen Vertrag einzubringen. Nun folgten die üblichen Erfahrungen einer Anfängerin: mittelmäßige Stücke und nebensächliche Parts. In Nicholsons Schauspiel „The Barker“ lernte sie 1927 als Schlangenbeschwörerin Lou Hauptdarsteller Norman Foster kennen, den sie ein Jahr später heiratete. Als sie eines Tages in einem O’Neill-Stück herausgestellt wurde, war auch der Weg nach Hollywood frei. Ihr erster Stummfilm „For the Love of Mike“ fand allerdings nur wenig Beachtung. Das sollte sich mit Lubitschs „Der lächelnde Leutnant“ (1931), der sie eine zeitlang auf das Klischeebild vom süßen, tapferen Mädchens festlegte, schlagartig ändern. Dem entkam sie, als sie als Poppäa in Cecil DeMilles „Im Zeichen des Kreuzes“ (1932) endlich ihren Sex-Appeal ausspielen konnte. Maßgeblich zu ihrer Legendenbildung trug die Sequenz bei, in der sie in Eselsmilch ein Bad nimmt und streunende Katzen die über den Wannenrand spritzenden Tropfen auflecken. Zwei Jahre später sah man sie unter erneuter Leitung des mit Reitstiefeln und Safarianzug bekleideten Regie-Diktators in der Titelrolle des ersten großen „Cleopatra“-Films, bei dem über 8000 Darsteller mitwirkten. Auch dieser Film war für die damalige Zeit recht gewagt, so dass die deutsche Erstaufführung erst 1953 (!) stattfand. Nach diesen beiden historischen Femme Fatales fand sie ebenfalls 1934 ihr eigentliches Metier in Frank Capras Screwball Comedy „Es geschah in einer Nacht“, in der sie sich als launenhafte Millionenerbin Ellie Andrews in den ihr zunächst lästigen Reporter Peter Warne (Clarke Gable) verliebt. Das der mit den fünf wichtigsten Oscars (Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller, Beste Hauptdarstellerin, Bestes Drehbuch) ausgezeichnete Film ein derart sensationeller Erfolg wurde, war einer glücklichen Fügung des Schicksals zu verdanken oder um mit Stanislav Lec zu sprechen: „Der Zufall ist der Schnittpunkt mehrerer Notwendigkeiten.“ Clark Gable war nämlich zur Strafe für „Unbotmäßigkeit“ von der großen Produktionsgesellschaft an die kleinere Firma Columbia ausgeliehen worden. Diese „Verbannung nach Sibirien“, wie Gable es nannte, bescherte im allerdings Claudette Colbert als kongeniale Filmpartnerin, die wiederum erst verpflichtet werden konnte, nachdem Columbia ihre übliche Gage von damals schon unerhörten 150.000 Dollern verdoppelte und ihr versprechen musste, den Film innerhalb von vier Wochen abzudrehen. Es sollten die vielleicht kurzweiligsten 28 Drehtage der Filmgeschichte werden. Kleine Anekdote am Rande: Da Gable im Film, wie man deutlich sehen kann, kein Unterhemd trug, bescherte er der amerikanischen Wäsche-Industrie merkliche Umsatzbußen, während Colbert mit ihren gemusterten Baumwollkleidchen, den großen, runden Schulmädchenhüten, die weit hinten auf dem Kopf sitzen, und dem dazu gehörigen wohlfrisierten Pony zum modischen Trendsetter avancierte. Durch den Zauber ihrer „very sophisticated“ Persönlichkeit und die Unfehlbarkeit ihres Geschmacks erwarb sie sich den inoffiziellen Titel der „bestgekleideten Frau Hollywoods“. „Wir wollen so ein Kleid, wie es die Colbert in der letzten Szene getragen hat“, raunte fortan die Damenwelt von Kalifornien bis Missouri, sobald ein neuer Streifen mit ihr anlief. Niemals trug sie etwas Extravagantes, und niemals machte sie in den „colums“ der berüchtigten Klatschbasen von Hollywood von sich reden. Nach der Ehe mit Norman Foster war sie bis zu dessen Tod 1968 aufs glücklichste mit Joel Pressmann, einem renommierten Professor der Chirurgie an der University of California Medical School, verheiratet. „Er hat es nicht gern, wenn ich allzu lange von zu Hause fort bin“, diktierte sie in die Notizblöcke der Journalisten wie ein braves Schulmädchen, und das erklärte die Tatsache, dass sie nur ungern am Broadway in einem richtigen „hit“ auftrat. Aus Liebe zu ihrer Familie lehnte sie sogar die Blanche in Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“ ab.

Nach ihrem Oscar für „Es geschah in einer Nacht“ war sie auf intelligente Beziehungskomödien spezialisiert und es folgten weitere Genre-Klassiker wie „Private Worlds“ (1935, zweite Oscar-Nominierung), „Blaubarts achte Frau“ (1939) und „Atemlos nach Florida“ (1942). Die Leichtigkeit ihres Spiels verlor die Colbert auch dann nicht, als sie später in Western („Trommeln am Mohawk“, 1939), Melodramen („Morgen ist die Ewigkeit“, 1945) oder sogar als fromme „Schwester Maria Bonaventura“ (1951) mitwirkte. Ihre dritte und letzte Academy-Award-Nominierung erhielt sie 1944 für ihre erste Mutterrolle in „Als Du Abschied nahmst“. Ihren Abschied vom Kinoscheinwerferlicht nahm sie 1961 an der Seite von Teenieschwarm Troy Donahue in „Sein Name war Parrish“. Zuvor hatte sie sich mit „Versailles – Könige und Frauen“ (1954) den einzigen französischen Film ihrer turbulenten Karriere gegönnt. Freilich sah man sie bis in die späten 1980er Jahre noch in Fernsehfilmen und –Serien. Für „The Two Mrs. Grenvilles“ wurde sie für den Emmy vorgeschlagen, um schließlich ein Jahr später einen Golden Globe zu gewinnen. Mit dem bereits am Broadway erfolgreichen Stück „Aren’t We All?“ tourte Claudette Colbert mit Rex Harrison durch Australien. Das Filmfestival in San Sebastian ehrte sie 1990 mit dem Donostia Lifetime Achievement Award. Als vorbildlich gealterte Dame von Welt lebte sie abwechselnd in ihrem New Yorker Appartement und in ihrem Anwesen auf der Karibik-Insel Barbados, wo sie geschwächt durch einen Schlaganfall am 30. Juli 1996 sechs Wochen vor ihrem 91. (bzw. 93.) Geburtstag verstarb. Auf die Frage, ob sie es bereuen würde, dass sie mehr im heiteren als im ernsten Fach reüssiert hätte, entgegnete sie mit dem ihr zu eigenem schalkhaften Stolz: „ Ich spiele gerne in Komödien, und ich kann ganz unbescheiden sagen, dass ich eine sehr gute Komödiantin bin. Aber ich habe auch immer gegen dieses Image gekämpft. Ich hatte einfach nie das Glück, ein Luder zu verkörpern.“ Ethik war ihr bei aller Koketterie wichtig. So lehnte sie die Verfilmung eines Romans von Jacqueline Susann mit folgenden Worten ab: „Ich würde niemals erlauben, dass meine Filmtochter eine Abtreibung vornehmen lässt.“ Claudette Colbert selbst sah sich als „unmodern“ – und das macht sie über ihren Tod hinaus zeitlos.

 

Marc Hairapetian