Der Rest ist...

Geist und Gefühl: Erinnerung an Klausjürgen Wussow

von Marc Hairapetian

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Klausjürgen Wussow nur auf „Die Schwarzwaldklinik“ und seine von den Boulevard-Medien genüsslich breit getretenen privaten Rosenkriege mit seinen Ex-Ehefrauen zu reduzieren, wäre eine große Torheit. Er war ein begnadeter Menschendarsteller, der in seiner Wahrheitssuche seinem Vorbild Oskar Werner stets nachzueifern gedachte. Ihre Zusammenarbeit beim „Jahrhundert“-„Hamlet“ 1953 an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main ist legendär. Werner spielte den umjubelten Königssohn, Wussow gab seinen Freund Horatio. 1996 traf ich den Helden meiner Kindheit nach Interviews mit Emmanuelle Béart, Gabriel Barylli und Régis Wargnier zu dem Film „Eine französische Frau“ zufällig in der Lobby des Hotels Bristol Kempinski in Berlin. Ich sprach ihn auf den „Hamlet“ mit Oskar Werner an, was ihn sichtlich erfreute: „Darüber können wir reden! Kommen Sie doch morgen zum Frühstück vorbei.“ Und zu seiner damaligen Frau Yvonne, die den gemeinsamen Sohn im Kinderwagen schob, gewandt: „Du, da ist ein junger Mann, der möchte mit mir über Oskar Werner sprechen!“ Der nächste Tag sollte für mich unvergesslich werden: Wussow erzählte mir derart lebendig über den „Schwierigen“, der lieber „Der Unbestechliche“ genannt werden wollte, dass mir Schauer über den Rücken liefen, insbesondere, wenn er dessen Tonfall imitierte: „Regelmäßig brachen Scharen junger Frauen in hysterische Schrei- und Weinkrämpfe aus, wenn Sie Oskar als Hamlet in Frankfurt auf der Bühne sahen. Manche fielen sogar in Ohnmacht, weil er sie so stark berührte. Er war ein ungemein intelligenter Schauspieler, der am Ende des Stückes bei ‚Der Rest ist Schweigen’ das letzte Wort nur andeutete: ‚Der Rest ist schw...’“, hauchte Wussow, der auf einmal in die Rolle Werners geschlüpft war, um fortzufahren: „Ich habe versucht, ihm viel abzuschauen – und auch später bei meinem Spiel anzuwenden, doch es ist mir natürlich nie so gelungen wie ihm. Wir waren bis zu seinem Tod sehr gut befreundet – und es war für mich wirklich eine große Ehre, wenn er mich schon von Krankheit gezeichnet ihm seine Heftpflaster auf den Rücken kleben ließ.“ Kurz nach unserem Interview sprach er mir auf den Anrufbeantworter und bedankte sich „für das Gespräch über Oskar Werner“: „Sie sind ein guter Junge. Bleiben sie so wie Sie sind.“ Danach faxte er meiner Mutter zwei Gedichte, die er geschrieben hatte und die meiner Oskar-Werner-Biografie „Genie zwischen Tag und Traum“ vorangestellt werden sollen. Das eine („Judas“) las Oskar Werner häufig bei seinen Matineen und Rezitationsabenden, das andere („Für ihn“) schrieb Wussow nach dem Tod des verehrten Kollegen. Es ist exklusiv auf der Website www.spirit-fanzine.de meines Film-, Theater-, Musik-, Literatur- und Hörspielmagazins Spirit – Ein Lächeln im Sturm veröffentlicht. Im Jahr 2000 trafen wir uns am Renaissance-Theater in Berlin, wo er meine damals noch nicht ganz einjährige Tochter Laetitia-Ribana Orsina Siranoush auf den Armen wiegte und ihr ein Küsschen auf die Stirn gab. Paparazzi fotografierten uns und brachten Bilder in die Boulevard-Medien, was uns natürlich sehr unangenehm war, da ein Zusammenhang zu seinen Sohn Benjamin hergestellt wurde, der ihm nach der Trennung von seiner Noch-Gattin Yvonne vorenthalten wurde. Die Gespräche mit Klausjürgen Wussow verliefen weiterhin auf einer sehr herzlichen Ebene, und er unterstützte mich bei meinem OW-Buch, wo er nur konnte. Bei unserer letzten Begegnung war er sehr wehmütig: „Sie wissen, meine Frau lebt von mir getrennt“, sprach er zum Abschied leise und in sich selbst versunken. Als ich erfuhr, wie schlimm es um ihn gesundheitlich stand, wollte ich ihn im Pflegeheim besuchen, doch es war bereits zu spät. Zwei Tage bevor er starb, stellte ich das Oskar-Werner-Gedicht auf die Spirit-Site. Sein Tod hat mich tief getroffen, hat er mir doch als Künstler und vor allem als Mensch viel gegeben. Wussow war ein Akteur, der Geist und Gefühl ansprach, ob als Thomas Becket in Jean Anouihls „Becket oder die Ehre Gottes“ am Wiener Burgtheater, dessen Ensemble er von 1964 bis 1986 angehörte, oder als schneidig-ungedoubelter Leutnant Rottek in der 26teiligen TV-Serie „Kurier der Kaiserin (1970/71)“. Dabei wusste der am 30. April 1929 in Cammin/Pommern geborene Vollblutkomödiant, der dennoch immer etwas melancholisch wirkte, bis in die 1980er Jahre hinein auch im deutschsprachigen Kino Akzente zu setzen. Nach Bühnen-Lehr- und Wanderjahren debütierte er 1958 als Oberleutnant Wagner in „Blitzmädels an die Front“. Wieder unter der Regie von Werner Klingler war Wussow, der in der ehemaligen DDR, nachdem er als Jugendlicher noch als Soldat in den Krieg ziehen musste, keine Erlaubnis für das Medizinstudium bekam, erstmals im weißen Kittel zusehen: „Arzt aus Leidenschaft“ hieß der zukunftsweisende Titel, denn später wurde er als Professor Klaus Brinkmann in der „Schwarzwaldklinik“ (1985 – 1989 und 2005) und als Dr. Frank Hofmann in „Klinik unter Palmen“ (1996 – 2003) zum TV-Medizinmann der Nation. Auch in Opas Kino der 1960er Jahre machte Wussow, der mit seiner sonoren Stimme Literaturklassiker wie „Aus dem Leben eines Taugenichts“ oder „Pinocchio“ in Lesungen veredelte, aber ebenso belangloses bedeutend klingen lassen konnte, vornehmlich in Edgar-Wallace-Streifen („Der rote Kreis“, „Der grüne Bogenschütze“) und Lustspielen („Eine Frau fürs ganze Leben“) eine gute Figur. In Erinnerung bleibt auch sein Obersturmbannführer von Lamm in Franz Antels NS-Abrechnung „Der Bockerer“ (1981). Schauspielerisch mehr abverlangen konnten dem blendend aussehenden Akteur, der etwas von James Dean, etwas von Orson Welles hatte, Theater und TV. Nach dem sensationellen Erfolg mit der „Kurier der Kaiserin“ wirkte Wussow in einigen der besten „Der Kommissar“- und „Tatort“-Folgen („Lisa Bassenges Mörder“, „Freund Gregor“), aber auch einer brillanten Fernsehinszenierung von „Kabale und Liebe“ (1980) mit. Aus der Reihe „Sergeant Berry“ stieg er 1974 aus, weil er sich nicht zu sehr aufs Serienfach festlegen wollte. Bei der „Schwarzwaldklinik“, die mit dem Euregio-Filmaward als „beste TV-Serie aller Zeiten“ ausgezeichnet wurde, sah er es anders – und dennoch gelang es dem Publikumsliebling auch hier immer wieder aus dem Rollenklischee vom „Halbgott in Weiß“ auszubrechen: Allen voran in der ambitionierten Simmel-Adaption „Bitte lasst die Blumen leben“ (1986) als Star-Anwalt Charles Duhamel, der - nachdem er einen Flugzeugabsturz überlebt hat - in eine andere Identität schlüpft. Wussow, der sogar ein begabter Versschreiber und Maler war, sagte einmal: „Die Bühne ersetzt für uns Schauspieler die Couch des Psychiaters.“ In seinen letzten Lebensjahren hatte er große gesundheitliche Probleme. Außerdem litt Wussow, der sich vehement für krebskranke Kinder und den Tierschutz einsetze, darunter, dass er seinen Sohn Benjamin aus der dritten Ehe mit der Journalistin Yvonne Viehöfer jahrelang nicht sehen durfte. In Berlin heiratete er 2004 noch einmal - die Witwe des Boxers Bubi Scholz. Am 19. Juni starb er demenzkrank und hochverschuldet in einem Pflegeheim in Rüdersdorf bei Berlin. Er hinterlässt vier Kinder (Alexander und Barbara aus der Ehe mit Ida Krottendorf sind ebenfalls Schauspieler geworden). Mit Klausjürgen Wussow verliert die deutschsprachige Film-, TV- und Theaterlandschaft einen ihrer letzten Heroen, dem Berufsethos und Herzblut keine Fremdworte waren. Und: „Der Rest ist...“?

Marc Hairapetian