Bratschist Vladimir Mykytka, Anna Fortunova und Andrej Bielow

„Unser Beruf hat einen sehr tiefen Sinn, und dafür lohnt es sich zu leben“

Der Geiger Andrej Bielow im Gespräch mit SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM

Der Geiger Andrej Bielow, geboren 1981 in der Ukraine, ist nicht nur Preisträger mehrerer wichtiger internationaler Wettbewerbe (zum Beispiel 1999 ARD-Musikwettbewerb, 2000 Joseph Joachim Hannover oder 2002 Long Thibaud) und hat zahlreiche Stipendien von Kulturinstitutionen erhalten, sondern er konzertiert auch als Solist und als erster Geiger des Szymanowski Quartetts auf der ganzen Welt und unterrichtet an der Musikhochschule Hannover. Einer der erfolgreichsten und vielseitigsten Geiger seiner Generation spricht mit SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM über seine Familie, Lehrer und namhaften Partner, die von ihm gegründete Stiftung „Musik braucht Freunde“, seinen Weg zum Erfolg und seine Pläne.

Von Dr. Anna Fortunova

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Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Wann und wie haben Sie angefangen Geige zu spielen?

Andrej Bileow: Meine Mutter ist Musikwissenschaftlerin, sie hat an der Musikhochschule in Lviv studiert und lange Zeit am Konservatorium in meiner Heimatstadt Chmelnyzkyj gearbeitet. Jetzt arbeitet sie beim Fernsehen in Chmelnyzkyj, sie moderiert Kultursendungen. Mein Vater ist Ingenieur, er spielt hobbymäßig Akkordeon, aber natürlich war es die Idee meiner Mutter, dass ich Geige spielen soll. Meine ältere Schwester ist auch Musikerin, sie ist Pianistin. Also habe ich mit fünf Jahren angefangen und mit neun beziehungsweise zehn Jahren an Wettbewerben in der Ukraine teilgenommen und sogenannte „Stipendien“ gewonnen. Ich sage „sogenannte“, weil es so wenig Geld war, dass man nur ein oder zwei Schokoriegel kaufen konnte. Das war in den Jahren 1991 und 1992. Nach diesen Wettbewerben ist uns klar geworden, dass es für mich sinnvoll wäre, diese Richtung weiter zu verfolgen. Ich mochte die Musik natürlich, hatte aber als Kind auch andere Interessen: Fußball, Tennis und so weiter.
Als ich elf Jahre alt war, hatte ich das kolossale Glück, fünf Jahre lang bei Professor Michael Kuzniezow in Kiew weiter Geige studieren zu können. Und ich würde sagen, dass ich nur deswegen auch mit sechzehn dann mein Studium an der Musikhochschule Hannover bei Professor Krzysztof Wegrzyn seriös fortsetzen konnte. Dies war auch eine Basis für meine musikalische Karriere und spätere Wettbewerbe. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Heißt das, dass Sie mit elf alleine in die Hauptstadt umgezogen sind und Ihre Eltern in Chmelnyzkyj geblieben sind?

Bileow: Ja, und Herr Kuzniezow hat mich nicht nur unterrichtet, sondern sogar zu sich nach Hause genommen, also habe ich auch vier Jahre bei ihm gewohnt. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: War das schwer, ohne die Eltern zu leben?

Bileow: Am Anfang ja, aber ich bin unendlich dankbar, dass es alles so geschah. Wissen Sie, früher passierte es oft, dass Lehrer ihr Leben ihren Schülern widmeten, das war mehr als ein Job, das war eine Berufung, eine Bestimmung. Später wurde mein Lehrer nach Polen eingeladen, um zu unterrichten, und ich bin mit ihm nach Polen gegangen. Und nach einem Jahr in Polen, bin ich im Jahr 1997 nach Deutschland gekommen, um mein Studium dort fortzusetzen. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Ich wollte Sie gerade fragen warum Sie die Musikhochschule Hannover gewählt haben…

Bileow: Das war eigentlich zufällig: Im Jahr 1994 habe ich mit einem Orchester in Breslau als Solist gespielt. Das war kein professionelles Orchester. Aber bekanntermaßen gibt es in Deutschland viele Laienorchester, die auf sehr hohem Niveau spielen. Und ich hatte diese außergewöhnliche Chance, schon mit zwölf Jahren Beethovens Violinkonzert mit Orchester zu spielen. Wir hatten Erfolg. Ein Jahr später hat man mich dann wieder eingeladen, in Hannover das Konzert von Tschaikowski zu spielen. So hat meine Freundschaft mit den Musikern begonnen, und später hat mir die Familie Hansen geholfen, mein Studium in Hannover aufzunehmen. Das war eine Kette von Zufällen. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Aber, wenn man zurück blickt, versteht man, dass es alles gar nicht zufällig war, oder? 

Bileow: Ja, zweifellos. Es hätte sich ja auch ganz anders entwickeln können…

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und haben Sie noch Kontakt zu Herrn Kuzniezow?

Bileow: Oh ja, selbstverständlich. Gerade in diesem Jahr haben wir seinen 70. Geburtstag gefeiert. Es gab ein sehr interessantes Konzert in Kiew im März 2010, an dem seine Studenten teilgenommen haben. Ich konnte auch nach Kiew kommen und mit dem Kammerorchester „Kamerata“ spielen. Und Herr Kusniezow war auch in Lviv auf unserem Festival (d. h. dem Festival des Szymanowski Quartetts). Also, wir haben ständig Kontakt miteinander und werden ihn immer aufrecht erhalten. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Sie haben jetzt das Szymanowski Quartett erwähnt. Erzählen Sie bitte detaillierter über diese Seite Ihrer Tätigkeit.

Bileow: Ich habe im Jahr 2005 angefangen, in diesem Quartett zu spielen. Am Anfang war es schwer, meine Solokonzerte und Quartettauftritte terminlich miteinander zu verbinden, aber nach und nach hat sich alles eingependelt, und jetzt versuchen wir uns zusammen weiterzuentwickeln.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Sie haben viele wichtige internationale Wettbewerbe gewonnen. Können Sie einen Tipp geben, wie so etwas gelingen kann?

Bileow: Oh, da ist es wahnsinnig schwer, einen Ratschlag zu geben. Und wissen Sie, in den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Wettbewerbe sich um ein Vielfaches vergrößert und das Niveau der Musiker sich sehr entwickelt, rein handwerklich betrachtet.
Es sind viele Faktoren entstanden, die die Teilnahme an den Wettbewerben erschwert haben, auch die Kriterien haben sich geändert. Zum Beispiel war es noch vor zwanzig Jahren eine besondere Individualität, die man bei einem Interpreten suchte. Und heute sind die technischen Standards so hoch geschraubt, dass manchmal nur ein Geschmacksunterschied entscheidet, wo das Glück hinfällt. Beispielweise hat die Jury eine Vorstellung, dass man so und so Barockmusik oder romantische Musik spielen soll, eine andere Jury hat aber eine andere Vorstellung und schätzt deswegen dieselben Musiker ganz anders ein… Wenn früher jemand bekannt wurde, verbreitete sich seine Popularität auf der ganzen Welt, so wie zum Beispiel bei David Oistrach, Pablo Casals oder Swjatoslaw Richter…

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Oder Niccolo Paganini…

Bileow: Ja, Paganini natürlich auch, obwohl er für seine PR viel getan hatte.
Und heutzutage gibt es so viele Menschen, die einige Wettbewerbe gewonnen, aber danach gar keine Karriere gemacht haben. Das bedeutet, dass einen Wettbewerb zu gewinnen nicht mehr heißt, im Konzertleben auf der ganzen Welt Erfolg zu haben. In meinem Fall hat mir z.B. der Long Thibaud Wettbewerb in Paris wunderbare Möglichkeiten eröffnet, in Frankreich und Japan Konzerte zu geben und dort mit unterschiedlichen Orchestern und Solisten zusammen zu spielen. Aber das ist keine Garantie für einen lebenslangen Erfolg… Ein Musiker, der Erfolg haben will, sollte immer wieder als Solist eingeladen sein. Und das ist viel schwieriger, als einfach (es ist natürlich überhaupt nicht einfach) einen Wettbewerb zu gewinnen. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Aber ist die Karriere nicht von dem Niveau des Wettbewerbes abhängig? Der Sieg in so einem Wettbewerb wie Long Thibaud in Paris oder der ARD -Musikwettbewerb in München (was Ihnen gelungen ist) bedeutet doch sehr viel für die Karriere?


Bileow: Das ist zweifellos so. Aber der Wettbewerb in Paris ist sehr populär in Frankreich oder Asien, in dagegen in Deutschland weniger bekannt. Jetzt gibt es für Geiger wahrscheinlich nur zwei Wettbewerbe, die als entscheidend für die Karriere gelten: der Indianapolis und Königin Elisabeth Wettbewerb in Brüssel. Aber ich kenne persönlich auch Menschen, die zwar diese Wettbewerbe gewonnen haben und doch keine konzertierenden Musiker geworden sind. Im Endeffekt hat jede Jury ihren eigenen Geschmack, aber in den Konzerten entscheidet letztendlich das Publikum.
Und eine der Schwierigkeiten heutzutage ist die Ausdauer, weil jedes Konzert einmalig, unikal sein muss. Wir alle sind nur Menschen, heute fühlen wir uns gut, morgen vielleicht nicht so gut. Im Leben passiert immer etwas. Aber das Publikum und unsere Manager interessieren sich dafür nicht.
Auch die Konkurrenz ist riesig. Es gibt so viele sehr junge Menschen, die schon mit sechzehn oder siebzehn Wettbewerbe gewinnen. Früher galt ein Musiker mit 35 noch als jung. Oistrach war, glaube ich, schon über 30, als er Wettbewerbe gewann. Und heutzutage weiß man nicht, ob man mit 18 oder 20 überhaupt noch als „junger Musiker“ oder „junge Musikerin“ gelten würde.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und warum ist es so, Ihrer Meinung nach?

Bileow: Das Leben ist schneller geworden. Ich glaube, für die jungen Musiker, die jetzt gerade ihre Karriere anfangen, ist es sehr wichtig, eine eigene Nische in der Musik zu suchen, in eine Richtung gehen, vielleicht sich auf eine Epoche zu konzentrieren. So wie Sänger das machen. Es scheint mir, es wird immer noch sehr hoch geschätzt, wenn ein Mensch seinen eigenen Weg geht.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Und wie findet man seine Nische?

Bileow: Das ist eine ewige Suche, ein unendlicher Prozess. Es ist sehr schwierig etwas Konkretes zu empfehlen. Ich würde vielleicht nur empfehlen: Man sollte der Welt gegenüber offen sein. Mit dem Internet ist es leichter geworden – es ist möglich zu hören und zu sehen was die Kollegen machen, wie sie spielen, was in anderen Ländern passiert und so weiter. Wir können uns ständig weiterentwickeln.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Sie haben mit vielen bekannten Musikern zusammen gespielt. Welche haben Sie am meisten beeinflusst?

Bileow: Oh, es ist wahnsinnig schwer, auf diese Frage zu antworten. Man kann von jedem Menschen etwas lernen und ich habe tatsächlich Glück gehabt, mit ganz wunderbaren Musikern zusammenzuarbeiten. Zuletzt habe ich mit dem Quartett zum Beispiel mit dem Pianisten Konstantin Lifschitz zusammen gespielt. Er lebt jetzt in Deutschland und der Schweiz. Wir haben „Die Kunst der Fuge“ in Bearbeitung für Klavier und Streichquartett zusammen gespielt. Es gab eine Live-Sendung auf NDR Kultur, und es wird noch einmal am 16. Januar 2011 übertragen. Das war auf den Musiktagen Hitzacker, dieses Festival existiert schon lange und hat jedes Jahr ein anderes Thema. Dieses Jahr hieß es „Ins Labor!“, deswegen gab es sehr ungewöhnliche Projekte; unseres war ebenfalls ungewöhnlich und hat uns gemeinsam großen Spaß gemacht.
Es ist wirklich sehr schwer zu wählen… Natürlich war da die Arbeit mit Oleg Maisenberg, Gidon Kremer oder Yuri Bashmet, – das sind kolossale Momente in meinem Leben. Mit Gidon Kremer haben wir auf dem Festival Chamber Music Connects the World im Jahr 2004 in Kronberg gespielt. Und dann hatte ich die Möglichkeit, als Konzertmeister mit der Kremerata Baltica an einer Tournee teilzunehmen. Mit Yuri Bashmet haben wir die Sinfonia Concertante von Mozart in einer Bearbeitung für Streichsextett gespielt. Auch in diesem Jahr spielten wir mit dem Beaux Arts Trio (das sind: der Pianist Menaham Pressler, der Cellist Antonio Meneses und der Geiger Daniel Hope) gemeinsam das Dvorák Quintett. Diese Musiker sind alle auf der ganzen Welt berühmt.
Ich freue mich sehr, dass wir im nächsten Jahr mit dem Pianisten Kit Armstrong und dem Cellisten Adrian Brendel auftreten. Wir werden zusammen auf dem Klavierfestival Ruhr spielen, einem der bekanntesten Festspiele in Deutschland, und danach haben wir in Frankreich, Japan und Italien Konzerte.
Wir haben uns natürlich sehr gefreut, dass im Juni auf unserem Festival in Lviv Gidon Kremer, Oleg Maisenberg, die Pianistin Khatia Buniatishvili und der Vibraphonist Andrei Pushkarev zu Gast waren. Mit Pushkarev haben wir Piazzolla und Bach gespielt.
Außerdem erarbeiteten wir in diesem Jahr ein sehr interessantes Projekt mit dem Klarinettisten Paul Meyer, das wir im August in den Niederlanden (das Konzert wurde im österreichischen Radio live übertragen) und im September in Bremen gespielt haben.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Aber Sie finden noch Zeit, um an der Musikhochschule in Hannover zu unterrichten…

Bileow: Ja, unser Quartett hat dort einen Lehrauftrag und wir versorgen einige studentische Ensembles regelmäßig mit Ideen.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Das haben Sie jetzt sehr schön gesagt: „Mit Ideen versorgen“… 

Bileow: Weil „lehren“ eigentlich ein komisches Wort ist. Mir hat einmal einer meiner Lehrer erklärt, dass ein Lehrer nicht derjenige ist, der dich lehrt, sondern der, bei dem du lernst. Ich erinnere mich immer daran. Wenn du Lust hast, dann kannst du lernen. Und dein Pädagoge ist nicht verpflichtet, dich zu lehren. Wenn es dir gelingt, dann kannst du bei ihm lernen…
In der Hochschule sind wir für die Streicherensembles verantwortlich, aber auch Klaviertrios. Wir „teilen“ diese Fakultät beispielsweise mit Professor Markus Becker. Wir tun das gerne und werden das weiter tun, solange wir diese Möglichkeit haben.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Aber nicht nur Ihre pädagogische Tätigkeit verbindet Sie mit der Musikhochschule Hannover, sondern neben ihrem eigenen damaligen Studium auch Ihr Projekt „Musik braucht Freunde“. Erzählen Sie bitte darüber etwas detaillierter.

Bileow: Dieses Projekt wurde gemeinsam mit dem Jazzgitarristen Johann Weiß ins Leben gerufen. Er unterrichtet ebenfalls an der Musikhochschule Hannover und hat dort das Pop-Institut gegründet. Wir sind schon seit einigen Jahren befreundet, und vor etwa fünf oder sechs Jahren hatten wir die Idee, ein Konzert vorzubereiten, in dem klassische und Popmusik zusammen gespielt wird. Ich war gerade dabei, meine Abschlussprüfung zu machen, hatte den Saal schon reserviert, und dann haben wir uns entschlossen stattdessen dieses „Crossover“-Konzert zu spielen. Und das war so erfolgreich, dass wir uns entschieden haben, dieses Projekt fortzusetzen. Wir konnten auch unsere Freunde gewinnen daran teilzunehmen. Unser Ziel war nicht nur, Stücke mit unterschiedlichen Musikstilen in einem Konzert zu verbinden, sondern auch auf eine hohe Qualität zu achten, so dass jedes Stück wie ein kleines Feuerwerk wirken sollte (jedes Stück sollte nicht länger als fünf bis sieben Minuten sein). An dem Konzert haben etwa 30-40 Musiker teilgenommen, es gab auch einen Moderator. Wir organisieren solche Konzerte einmal pro Jahr, und das Prinzip der vielen Teilnehmer haben wir beibehalten (einmal hatten wir sogar etwa 100 Musiker). Die Zuhörer erfahren über Einladungen von diesen Konzerten, da wir keine Plakate herstellen lassen. Diese Einladungen sind schon drei Monate im Voraus alle vergeben. Eintritt ist frei, aber die Zuhörer geben Spenden. Nach dem ersten Konzert haben wir 15000 Euro und letztes Jahr – sogar 20000 Euro gesammelt. Das gab uns die Möglichkeit, einen Stipendienfond zu gründen, die materiell schlechter gestellten Studenten der Musikhochschule Hannover hilft, ihr Studium zu bezahlen. Jedes Jahr können wir etwa 14 Stipendien vergeben, und in diesem Jahr werden es sogar mehr sein, da wir mehr Geld sammeln konnten. Wir freuen uns riesig, dass es uns gelungen ist, unseren Plan zu realisieren, dass Musiker aus unterschiedlichen Ländern an den Konzerten teilnehmen. Ich glaube, wenn wir für dieses Konzert Honorare gezahlt hätten, dann hätte es uns etwa hunderttausend Euro gekostet. Letztes Jahr hat auch der bekannte Schauspieler Jan Josef Liefers teilgenommen. Dieses Jahr wird unser nächstes Konzert am 14. Januar sein. Dazu kann ich nur anmerken, dass das Publikum in Hannover und generell in Deutschland einfach wunderbar ist.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Haben Sie nicht den Eindruck, dass es zu wenig junge Menschen im Publikum gibt?

Bileow: Ich denke, es werden mehr und mehr junge Zuhörer, vielleicht gibt es jetzt zehn bis 15 Prozent, es ist schwierig, das genau zu sagen…

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Was würden Sie als besonders typisch in Ihrem Beruf bezeichnen?

Bileow: Wir müssen ständig lernen, wir haben immer diese „handwerkliche“ Arbeit. Zum Beispiel hast du ein Stück schon viele Male gespielt, sogar auf CD aufgenommen, aber wenn du zum x-ten Mal die Noten öffnest, findest du dort immer etwas Neues. Und man muss natürlich sehr viel üben, auch wenn es auf der Bühne nur ein kurzer Moment ist, aber damit dieser Moment schön ist, hat man viel handwerkliche Arbeit, ohne diese ist es unmöglich zu schaffen. Malerei, zum Beispiel, hat eine ganz andere Besonderheit: Ein Maler kann sein Bild immer etwas korrigieren oder eine Reproduktion machen. 

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Aber dafür beeinflusst die Musik uns am stärksten…

Bileow: Ja, da haben Sie natürlich Recht.

Spirit - Ein Lächeln im Sturm: Wir haben leider nicht mehr viel Zeit, deswegen meine letzte Frage: Sie sind ein junger Musiker und haben schon viel erreicht. Haben Sie nie daran gedacht, einen anderen Beruf auszuüben, z.B. in einem Film zu spielen oder ein Restaurant aufzumachen?

Bileow: Oh, ich habe ständig solche Ideen. Mein Vater hat vorgeschlagen, Wein zu verkaufen. Er reist wie ich sehr viel und denkt, es sei leicht, irgendein Geschäft zu eröffnen. Aber ich glaube, wenn man so etwas tut, dann sollte man es gut tun, und man sollte wissen, was man macht und daran glauben. Und ich denke, wenn all diese „Zufälle“ (über die wir schon gesprochen haben) mein Leben mit Musik verbunden haben, dann lohnt es sich, das zu machen. Beispielsweise war das mit dem Quartett auch ein Zufall. Es war nicht so, dass ich dachte, ich werde mein ganzes Leben lang in einem Quartett spielen, aber wenn durch eine Fügung des Schicksals es so sein sollte, dann werden wir das auch weiter machen. 
Es kann natürlich kompliziert sein, vor allem manchmal bei zeitgenössischer Musik, obwohl auch jetzt geniale Musik geschrieben wird. Aber wir spielen auch Mozart, Mendelssohn, Brahms, Schostakowitsch, – das ist alles wunderschön… Unser Beruf hat einen sehr tiefen Sinn. Und für diesen Sinn lohnt es sich zu leben. 


Das Gespräch führte Anna Fortunova in Hannover am 3. August 2010. Das Bild zeigt Andrej Bielow, Anna Fortunova und Bratschist Vladimir Mykytka (Foto: www.spirit-fanzine.de).