"Rauf, runter, rauf, runter, so geht es."


Interview mit Karlheinz Böhm zum 80. Geburtstag

Von Marc Hairapetian

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Sein Leben war und ist voller Erfolge, Erkenntnisse und Wandlungen. Karlheinz Böhm wird am 16. März 80 Jahre alt. 1981 als Sohn des Dirigenten Karl Böhm geboren, flüchtete er als Kind mit einem gefälschten Attest vor dem Nationalsozialismus in die Schweiz und wurde vor allem durch die "Sissi"-Triologie zum Filmstar. Seit 1981 widmet er sich mit Leib und Seele seiner von ihm gegründeten Hilfsorganisation "Menschen für Menschen", nachdem er mit einer Wette bei „Wetten, dass…?“ auf die katastrophale Situation der Menschen in der Sahelzone aufmerksam gemacht hatte. Doch auch nach diesem Wendepunkt in seinem Leben sieht sich Böhm immer noch als Schauspieler: "Nun schlüpfe ich nicht mehr in andere Rollen, sondern stelle mich nur selbst - für den guten Zweck - dar:", sagt er in einem Vorgespräch mit der FAZ. Ausnahmen bestätigen diese Regel: Er hält Lesungen und verkörperte 2006 in Wolfmehls Hörspiel "Lola Montes" (Regie: Konrad Halver) eindrucksvoll den Bayernkönig Ludwig den Ersten. Böhms Geburtstagsfeier wird ebenfalls ganz im Zeichen von "Menschen für Menschen" stehen. Sie soll der Startschuss für das von seiner äthiopischen Frau Almaz Böhm geleitete, neue Bildungsprogramm "ABC - 2015" sein, dessen Ziel es ist, hunderttausenden Kindern Äthiopiens eine Schulbildung zu ermöglichen. Zusätzlich wird es am 23. April eine vom ZDF initiierte TV-Spendengala geben, mit dem Titel "Alles Gute Karlheinz Böhm - Ein Leben für Afrika". Im Interview spricht er über seinen Zorn, Toleranz und warum das Partyleben in Hollywood nichts für ihn war.

Marc Hairapetian: Sie haben im Vorfeld zu ihrem 80. Geburtstag viele Termine: die Berlinale, Pressekonferenzen, Auftritte im Fernsehen und Veranstaltungen für Ihre Hilfsorganisation "Menschen für Menschen". Sie wirken trotz allem noch so unglaublich agil. Woher nehmen Sie die Kraft dafür her?

Karlheinz Böhm: Ich muss ein bisschen lachen. Ich mache "Menschen für Menschen" seit siebenundzwanzig Jahren. Ich habe mit dreiundfünfzig Jahren angefangen und habe dort mit einem intensiven Einsatz ein Projekt aufgebaut, das große Dimensionen angenommen hat. Sie müssen sich vorstellen, wir haben allein in Äthiopien 700 Mitarbeiter. Dass ich das jetzt mit dem zunehmenden Alterungsprozess etwas langsamer mache, und Schritt für Schritt meiner Frau Almaz Verantwortlichkeiten übergebe, ist eine andere Sache. Ich werde das aber machen, solange ich geistig und körperlich in der Lage dazu bin. Und dieses ständige Herumreisen ist ein Alltag, der zu mir gehört. Ich bin, wenn Sie so wollen, vorher Nomade gewesen, bis ich dann im Erer Tal in Äthiopien endlich meine persönliche Heimat gefunden habe.

Marc Hairapetian: Haben Sie sich inzwischen überlegt, nachdem das Ganze mit Äthiopien so gut anlief und immer noch läuft, "Menschen für Menschen" als Hilfsmodell auf andere Länder zu übertragen?

Karlheinz Böhm: Ich habe mich damals nach den Ländern der Sahelzone erkundigt und bin auf den Tschad, Sudan und Äthiopien aufmerksam geworden. Es kam dann schnell heraus, dass es im Tschad aber keine Regierung gab und mich die sudanesischen Religionsführer nicht dulden würden. So blieb mir nur noch Äthiopien, ein Land, welches durch die Kaiser der damaligen kolonialistischen Zeit genauso unterdrückt wurde, wie viele andere afrikanische Länder. Die spätere kommunistische Militärdiktaturführung lud mich auch sofort ein. So kam eines zum Anderen. Seit dem hatte ich nie aber auch nur den leisesten Gedanken gehabt, in irgendein anderes Land Afrikas zu gehen. Es war immer ganz klar, dass Äthiopien meine Zielsetzung ist, und das wird zumindest noch zu meinen Lebzeiten so bleiben. Wenn der äthiopische Regierungschef einmal zu uns kommen und sagen würde: "Wir brauchen euch nicht mehr. Vielen Dank. Ihr wart jetzt solange hier. Ihr habt uns geholfen, dass wir unabhängig geworden sind und wir brauchen keine Unterstützung mehr", dann hätte ich einen Grund aufzuhören. Vorher nicht.

Marc Hairapetian: Man spricht ja oft von zornigen, jungen Männern. Sind Sie ein zorniger, alter Mann?

Karlheinz Böhm: Sie können von einem zornigen Menschen sprechen, nicht aber von einem alten oder jüngeren. In den ersten Monaten, als ich in Äthiopien mit der Situation in dem Land konfrontiert wurde, hat sich diese Wut bei mir sehr stark entwickelt, weil es so eine solche Diskrepanz zwischen arm und reich bei uns auf dem Planeten Erde gibt, die wir einfach nicht akzeptieren sollten. Die Wut muss ja nichts destruktives sein. Sie kann auch sehr konstruktiv sein, wenn man sie dazu benutzt, etwas aufzubauen. Das ist eine der Grundlagen von "Menschen für Menschen".

Marc Hairapetian: War es vor „Menschen für Menschen“ auch schon so, dass Sie zum Zorn neigten, wenn Sie durch die Medien mit den Problemen ärmerer Länder konfrontiert wurden?

Karlheinz Böhm: Ich bin eigentlich erst in den 1968ern Jahren, als ich mit Fassbinder und seiner Gruppe damals in Frankfurt am Main zusammenkam, dazu gekommen. Mein Vater war ein sehr apolitischer Mensch und hat mich in meiner Jugend aufgrund des herrschenden Nationalsozialismus stets dazu ermahnt, mich nicht zu einem politischen System zu äußern. Aber wie die damals in Frankfurt auf die Straße gegangen sind, da habe ich zum ersten Mal angefangen darüber nachzudenken, was wir als Demokraten in einer Gesellschaft für eine Verantwortung haben und was wir tun müssten und was wir tun sollten und was wir nicht sollen. Darum bin ich dann auf Fassbinder zugegangen, mit dem ich schließlich viele Jahre zusammengearbeitet habe. Ohne diese damalige Bewegung, hätte ich nie das gemacht, was ich heute bin.

Marc Hairapetian: Fassbinder galt ja streckenweise als sehr autoritär. Der Schauspieler Klaus Löwitsch hat mir einmal erzählt, dass er die Frauen wesentlich schlechter behandelt hat, als die Männer. Können Sie das auch bestätigen?

Karlheinz Böhm: Nein. Ich würde sagen, sogar eher das Gegenteil. Fassbinder war noch dazu sich bekennender Homosexueller. Das heißt, er war im tiefsten Sinne des Wortes bisexuell. Ich habe auch eine Frau und Kollegin von uns kennen gelernt, mit der er ein Verhältnis hatte. Und die Frau hat gesagt, sie hat in ihrem ganzen Leben selten einen leidenschaftlicheren Liebhaber gehabt, als den Fassbinder. Wortwörtlich hat sie mir das gesagt. Diese Bisexualität und die ganze Gesellschaft, mit der er gearbeitet hat, haben sein ganzes Leben sehr beeinflusst, muss ich sagen.

Marc Hairapetian: Wie wichtig ist Ihnen, nicht nur im Zusammenhang mit Bi- oder Homosexualität, der Begriff Toleranz? Wo fängt sie an und wo hört sie für Sie auf?

Karlheinz Böhm: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn natürlich sollte man in gewissen Dingen Toleranz zeigen, die Sachen akzeptieren, von denen man von der Tradition oder von der Erziehung her anders beeinflusst worden ist. Man soll, das sage ich meinen Kindern auch immer, bevor sie eine Tradition übernehmen, erst einmal ganz genau kontrollieren, ob diese noch in unsere Zeit hineinpasst, weil sich ja die Zeiten ununterbrochen ändern. Und das man diese alten Traditionen über Generationen her mit übernommen hat, hat zu sehr großen Fehlverhalten auch im gesellschaftlichen Zusammenleben geführt.

Marc Hairapetian: "Menschen für Menschen" ist der große Wendepunkt in Ihrem Leben gewesen, aber man hat doch den Eindruck, dass Ihre Arbeit in Hollywood auch in gewisser Hinsicht ein erster Wendepunkt war. Sie sagten einmal, dass sich damit fast ein Traum verwirklichte, Sie aber schließlich mit der kalifornischen Mentalität in Hollywood nicht zurechtkamen. Was genau hat Sie gestört?

Karlheinz Böhm: Vor allem die Einstellung zum Materialismus, zum Geld als Ganzem. Und zu der Herrschaftsfrage, wer zu bestimmen hat und wer nicht. Die gesellschaftlichen Strukturen dort sind andere, als man sie hier gewohnt ist. Ich habe sehr bald gesehen, dass ich da nicht hineinpasse, weil ich da nicht, sagen wir mal, rückwärts gehen und mich da in eine Gesellschaft adaptieren kann, die meiner eigenen Denkweise nicht entspricht.

Marc Hairapetian: Also ist dieses Partyleben auch nichts für Sie gewesen, diese ständigen Empfänge oder Premieren?

Karlheinz Böhm: Also das nun schon überhaupt nicht. Ich bin ein solcher Anti-Partymensch, wie man sich das überhaupt nur vorstellen kann. Ich habe dennoch viele Persönlichkeiten in Hollywood kennen lernen dürfen, auch aus dem jüdischen Umfeld, Bruno Walter zum Beispiel. Die Einstellung in Hollywood gegenüber dem Judentum hat eine Zeit lang eine ganz wichtige Rolle gespielt in meinem Leben. Das hat mir ebenfalls sehr viel Normalität zu diesen Dingen vermittelt.

Marc Hairapetian: Der 1947 entstandene Film "Der Engel mit der Posaune" ist ein riesengroßer Erfolg in der Nachkriegszeit in Österreich gewesen. Am Set sind Sie rasend schnell aufgestiegen, nämlich vom dritten zum ersten Regieassistenten Karl Hartls. Wie war denn die Atmosphäre am Set mit diesen ganzen Göttern vom Burgtheater, wo Sie dann später auch auftraten?

Karlheinz Böhm: Mit denen habe ich mich sehr gut verstanden. Paula Wessely zum Beispiel, war mit meinen Eltern sehr befreundet. Ich kannte sie rein privat und hatte mich sehr gefreut, sie wieder zu treffen. Die außerordentliche Begabung von Oskar Werner, dessen Schauspiellehrer Helmuth Krauß später auch der meinige gewesen ist, hat man dort in den ersten Auftritten schon sehr klar gesehen. Es war sehr faszinierend. Das war einer von den jungen Schauspielern, die ich für absolut genial erachtet habe. Er ist leider viel zu früh gestorben. Zu meinem "Aufstieg": Der erste Regieassistent wurde krank, der zweite rausgeschmissen. Dass ich dann mit neunzehn Jahren die so genannte erste Regieassistenz übernahm, war etwas, was ich natürlich nie vermutet hätte. Und dass dann noch dazu kam, dass am Schluss in der letzten Szene ein junger Darsteller für eine stumme Rolle benötigt und ich eingesetzt wurde, war mein erster Versuch, der mich in die Richtung Schauspielerei geführt hat.

Marc Hairapetian: Vom Prinzen in "Sissi" zum psychopathischen Mörder "Peeping Tom" ist es ein weiter Weg gewesen. Sind diese Filme für die Ewigkeit, mehr als es viele andere, vielleicht noch anspruchsvollere Filme mit Ihnen jemals waren?

Karlheinz Böhm: Schauen Sie, die beiden von Ihnen erwähnten Filme waren künstlerische Ausnahmeprojekte, insofern, als sie in der geschichtlichen Entwicklung übergeblieben sind und noch immer existieren. "Peeping Tom" wurde von der damaligen Zeit wahnsinnig abgelehnt. Er wurde dann Jahre später durch Martin Scorsese in New York wiederentdeckt und ein Welterfolg. Sie dürfen dennoch nicht vergessen, dass ich insgesamt sechsundvierzig Filme gedreht habe. Und viele Filme davon, wie zum Beispiel "Kriegsgericht", der das Thema Soldatenehre und Gerechtigkeit aufgreift, habe ich mit einer leidenschaftlichen Begeisterung gemacht. Dass nicht jeder dieser Filme ein großer Erfolg geworden ist, gehört zum Leben eines Schauspielers dazu. Kein Schauspieler dreht einen genialen Film nach dem anderen. Rauf, runter, rauf, runter, so geht es.

Marc Hairapetian: Stört Sie eigentlich der Begriff "Gutmensch"?

Karlheinz Böhm: Es ist mir egal, wie andere mich nennen. Ich mache einfach nur meine Arbeit für andere Menschen. Es macht mich sehr glücklich, dass ich nicht nur gesellschaftlich dort angenommen wurde, ich habe ja die äthiopische Ehrenstaatsbürgerschaft erhalten, sondern auch menschlich voll anerkannt werde. Jeder, der die Leute in Äthiopien kennen lernen würde, könnte verstehen, warum ich das tue, was ich tue.

Das Gespräch mit Karlheinz Böhm führte Marc Hairapetian am 4. März 2008 im Hotel Steigenberger Hamburg.



Autobiografie zum 80. Geburtstag Karlheinz Böhm: "Mein Leben - Suchen Werden Finden",
aufgezeichnet von Beate Wedekind, Collection Rolf Heyne, München 2008, 450 Seiten, 300 Fotos, € 75,00 , ISBN 978-3-89910-383-0,
Menschen für Menschen
www.MenschenFuerMenschen ,
"ABC - 2015": Spendenhotline
0180 2225222 (6 Cent aus dem deutschen Festnetz, bis 24.April von 9 bis 18 Uhr besetzt),
Spendenkonto MfM ,
Kontonummer 18 18 00 18, BLZ 701 500 00, Stadtsparkasse München.