Tim und Struppi im Spielberg-Stil

„Es war mir eine heilige Pflicht“

Interview mit Regisseur Steven Spielberg zu seinem neuesten Film „Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn“

Von Marc Hairapetian

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Ob „Duell“ (1971) „Der weiße Hai“ (1975), die „Indiana Jones“-Reihe (1981 - 2008), „“E. T. - Der Außerirdische“ (1982), „Jurassic Park“ (1993) „Schindlers Liste“ (1993), „Der Soldat James Rayne“ (1998) oder „A. I. - Künstliche Intelligenz“ (2001): Steven Spielberg, geboren am 18. Dezember in Cincinatti (Ohio), ist zusammen mit Peter Jackson und James Cameron der kommerziell wohl erfolgreichste Filmemacher aller Zeiten. Was lag näher, als mit einem von beiden zusammenzuarbeiten, um die künstlerischen Kräfte zu potenzieren. Mit „Herr der Ringe“-Regisseur Peter Jackson fand er einem Bruder im Geiste, was die Realisierung seines langgehegten Wunschtprojekts „Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn“ angeht, dass kurz vor Weihnachten auch den US-Markt erobern soll. Spielberg selbst nennt übrigens im folgenden Interview mit Spirit-Ein-Lächeln-im-Sturm-Herausgeber Marc Hairapetian, der zusammen mit Redaktionshund Felix Tim und Struppi im realjournalistischen Leben nacheifert, seinen verstorbenen Freund Stanley Kubrick als größten Regisseur aller Zeiten.
Tim und Struppi mit Freunden im Original von Hergé


Marc Hairapetian: Mr. Spielberg, wie kamen Sie auf die Idee, bei der Verfilmung von Hergés Kultcomic „Tim und Struppi“ ausgerechnet mit Regisseur Peter Jackson, der diesmal „nur“ als Produzent fungiert, zusammen zu arbeiten?

Steven Spielberg: Peter ist „Tim und Struppi“-Fan seit Kindesbeinen an. Ich erst seit 1981, als ich in einer französischen Filmkritik las, dass mein Film „Jäger des verlorenen Schatzes“ von Hergé beeinflusst worden wäre. Dem war leider nicht so, denn ich kannte „Tim und Struppi“ zuvor gar nicht. Nach Lektüre von besagter Kritik kaufte ich mir alle 24 Bände und las sie in wenigen Tagen komplett durch. Kurz darauf sicherte ich mir die Verfilmungsrechte. Hergé selbst, ermutigte mich noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1983 zu einer Verfilmung. Die dreidimensionale computergenerierte Animationstechnik war damals erst in den Startlöchern., Obwohl ich 1985 mit Barry Levinsons „Das Geheimnis des verborgenen Tempels“ den Film mit der ersten digitalen Bildersequenz produzierte, wollte ich nicht, dass „Tim und Struppi“ wie „Dick Tracy“ aussieht. So legte ich das Projekt auf Eis. Als ich Peter Jackson kennen lernte, konnten wir unverhohlen unserer Leidenschaft für „Tim und Struppi“ frönen. Da lag es nahe, gemeinsam einen Film vorzubereiten, zumal Peter mit der „Herr der Ringe“-Triologie die digitale Computer-Animation wesentlich vorangetrieben hat.

Tim wundert sich über Peter Jackson und Steven Spielberg als Schulze und Schultze


Marc Hairapetian: Ihr Freund, der verstorbene Meisterregisseur Stanley Kubrick, wollte bei „A. I. - Künstliche Intelligenz“, auch mit Ihnen kooperieren. Sind Sie ein Teamplayer?

Steven Spielberg: Das muss man als Regisseur an sich immer sein, auch wenn ein Film eine Handschrift tragen sollte. Stanley hat über Jahrzehnte an „A. I“ gearbeitet, doch das Projekt immer wieder hinausgeschoben, weil die Technik noch nicht so weit war. Ähnlich wie ich jetzt mit „Tim und Struppi“. Stanley und ich waren Freunde - und das ist mir bis heute eine große Ehre. Seine Filme wie „Doktor Seltsam oder Wie ich lernte die Bombe zu lieben“, „2001: Odyssee im Weltraum“ oder „Uhrwerk Orange“ waren einfach der Urknall für junge Cineasten meiner Generation. Nachdem er solange zu „A. I“ recherchiert hatte, fand er, dass die Inszenierung der „Menschwerdung“ eines Roboters ein besseres Thema für mich wäre. Er, das Regie-Genie, wollte diesmal nur produzieren. Sein überraschender Tod kurz nach Beendigung von „Eyes Wide Shut“ im März 1999 verhinderte, dass wir „A. I.“ gemeinsam ins Kino bringen konnten. Ich versuchte es - ausgerechnet im Jahr 2001 - so gut es ging, ihm gerecht zu werden.

Marc Hairapetian: Warum liess Ihnen, Peter Jackson bei der Regie den Vortritt?

Steven Spielberg: Weil ich der Ältere bin! (lacht) Im Ernst: Er meint, ich würde am Set schneller arbeiten, als er. Durch Peter lernte ich auch seine Heimat Neuseeland kennen, dort herrschen wirklich ausgezeichnete Produktionsbedingungen. Ein wunderschönes Land, indem man viel ruhiger arbeiten kann, als in Hollywood. Ich werde wieder dort mit dem Weta Workshop zusammenarbeiten.

Marc Hairapetian: Hat sich das Regieführen im Laufe der Jahre für Sie verändert?

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Tim und Struppi aka THE SPIRIT and Felix in Thailand (photo by Thai-Lady for SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)


Steven Spielberg: Natürlich. Jeder Film ist anders. Aber hier war es ganz anders! Mit der neuen Technik ist man direkt mit der virtuellen Welt verbunden. Ich stand mit der Kamera mitten im sogenannten „Green Room“ und habe die Schauspieler aus zwei Metern Entfernung gefilmt, während wir das Innere eines gigantischen Frachters auf die Leinwand projizierten. Die Darsteller hatten Pixelmarkierungen auf ihren Anzügen. Ich war ganz grün gewandet und somit unsichtbar. Ich war also wie einst Siegfried mit der Tarnkappe ungesehen im Bild und nicht wie sonst üblich in einem Studio 50 Meter entfernt und nur per Headset mit den Schauspielern verbunden.

Marc Hairapetian: Warum haben Sie mit „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“, „Das Geheimnis der Einhorn“ und „Der Schatz Rackhams des Roten“ gleich drei Alben in einen Film gepackt?

Steven Spielberg: Der Doppelband „Das Geheimnis der Einhorn“/“Der Schatz Rackhams des Roten“ steht zwar im Vordergrund, wir wollten allerdings Kapitän Haddock nicht so lapidar einführen. Deshalb bezogen wir auch „Die Krabbe mit den Goldenen Scheren“ ein, in der Tim und Struppi ihren späteren Weggefährten Kaptiän Haddock auf dem armenischen Frachter Karaboudjan als versoffenes, von seiner eigenen Mannschaft nicht ernst genommenes Wrack kennen lernen.

Marc Hairapetian: Wieso fehlt eigentlich der schwerhörige, aber geniale Professor Bienlein, der in Hergés Comic Tim, Struppi und Haddock bei der Schatzsuche mit einem Unterseeboot behilflich sein möchte?

Steven Spielberg: Warten Sie unsere Fortsetzung ab!

Marc Hairapetian: Dem „Geheimnis der Einhorn“ soll also „Der Schatz Rackhams des Roten“ oder ein anderes „Tim und Struppi“-Abenteuer auf die große Leinwand folgen?

Steven Spielberg: Ja, wenn die Einspielergebnisse stimmen. Elemente von „Der Schatz Rackhams des Roten“ tauchen ja schon in unserem „Tim und Struppi“-Debüt auf. Denken Sie an Haddocks Vorfahren, der sich anhand von Haddocks zum Seemannsgarn ausgeschmückter Familiengeschichte, ein Duell mit dem von Daniel Craig verkörperten Piratenkapitän liefert. Bei einer Fortsetzung wird übrigens Peter Regie führen und ich produzieren.

Marc Hairapetian: Wie schätzen Sie Andy Serkis Computer animierte Darstellung von Kapitän Haddock ein?

Steven Spielberg: Andy ist mit Abstand der beste Schauspieler, was die Performance-Capture-Technologie angeht, die Bewegungen und Ausdruck eines realen Akteurs auf die Figuren im Computer überträgt. Denken Sie an seine Darstellung des Gollum in „Herr der Ringe“ oder des Affen Caesar in „Planet der Affen - Prevolution! Der ewig fluchende, durch seine Alkohol-Eskapaden von einem Fettnäpfchen ins nächste tretende, aber dennoch herzensgute Haddock ist neben Struppi die wohl beliebteste Figur in Hergés Comic-Kosmos! Und durch Andy wird sie noch mehr Fans gewinnen.

Marc Hairapetian: War es nicht noch schwieriger, einen Darsteller für Titelheld Tim zu finden?

Steven Spielberg: Da haben Sie recht. An sich ist Tim von Hergé bewusst einfach, aber auch einzigartig gezeichnet: Ein ovales Gesicht mit zwei schwarzen Punkten anstelle von Augen und Lidern, eine Stupsnase, ein Punkt als Mund, dazu eine Haartolle. An seiner berühmt-berüchtigten „Ligne Claire“ mit den präzisen Konturen und dem weitgehenden Verzicht auf Schraffuren und Farbverläufen sind viele Comiczeichner in den ersten Tim-Zeichentrickfilmen gescheitert. Erst die kanadisch-französische Serie Anfang der 1990er Jahre hat dies überzeugend hinbekommen. Peter und ich wollten den 2-D-Comic in einen 3-D-Film transportieren, der Hergés DNA beibehält. Jamie Bell wirkt wie ein Junge, der seinen Hund über alles liebt, ist aber schon erwachsen, so dass man ihm den Abenteurer auch abkauft. Er läuft immer leicht nach vorne gebeugt, was die Dynamik des rasenden Reporters unterstreicht.

Marc Hairapetian: Die Musik Ihres Stammkomponisten John Williams ertönt diesmal nicht so melodiös wie in „E.T.“, „A. I.“ oder den „Indiana Jones“-Filmen. Im Gegenteil, sie wirkt eher vertrackt und akademisch.

Steven Spielberg: Besser akademisch, als seicht. Johns Musik sollte auch dem Film-Noir-Touch unterstreichen. Sie ist mitunter düster, wie der ganze Film. Peter und ich wollten wirklich bei allen filmischen Aspekten eine Hollywoodisierung dieses ureuropäischen Comics vermeiden. Dazu gehört auch die Musik. In Verbund mit dem Scherenschnitt artigen Vorspann ist Johns kriminalistisch-skurrile Titelmusik wirklich ein künstlerisches Kleinod der Sonderklasse.

Marc Hairapetian: Was ist eigentlich ihr „Tim und Struppi“-Lieblingsalbum?

Steven Spielberg: Der Doppelband „Reiseziel Mond“/“Schritte auf dem Mond“. Hergé hat bereits 15 Jahre zuvor die Mondlandung minutiös vorweg genommen. Dazu kommt die Geschichte des ehrbaren Verräters Wolff: Wegen seiner Spielschulden ist der Ingenieur gezwungen, für eine fremde Macht zu spionieren und das Unternehmen zu sabotieren. Am Ende opfert er sich aber, als der Sauerstoffvorrat für die anderen Expeditionsteilnehmer knapp wird. Sein Freitod im Weltraum hat mich immer zu Tränen gerührt.

Marc Hairapetian: Na, das wäre doch ein guter nächster „Tim und Struppi“-Film des Gespanns Spielberg/Jackson!

Steven Spielberg: Das haben Sie gesagt, aber wo Sie es sagen, klingt es wirklich reizvoll. Sollte es soweit sein, werden sie einen Extra-Credit für Inspiration erhalten!

Marc Hairapetian: Vielen Dank im voraus und danke auch für das Gespräch!


Das Interview führte Marc Hairapetian.