Größere Ansicht anzeigenCologne Film Festival: Wigald Boning & THE SPIRIT aka Marc Spirit Hairapetian at preview of HISTORY documentary
"Die Geschichtsjäger" (Residenz-Kino, Cologne, October 10, 2016, photo by Christoph Hardt)

"Die Szene sah den Weltuntergang vor sich!"

Interview mit "Geschichtsjäger" Wigald Boning

Von Marc Hairapetian

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Für die neue, eigenproduzierte Doku-Reihe "Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger" des Bezahlsen-ders HISTORY Deutschland begeben sich Wigald Boning und Fritz Meinecke an geheimnisumwit-terte Orte wie "Das Nazi-Eliteinternat" in Ballenstedt, "Die Gruselklinik" in Bad Berka, "Hitlers Rake-tenschmiede" in Peenemünde oder die "Todeszone Tschernobyl". Ein Gespräch mit dem am 20. Januar 1967 in Wildeshausen bei Oldenburg geborenen Komiker, Autor, Musiker und Moderator Boning über Punk, Pay-TV , nukleare Gefahr und Hysterie.

 Marc Hairapetian: Wie sind "Die Geschichtsjäger" Wigald und Fritz zusammengekommen?

 Wigald Boning: Der Sender hat uns zusammengeführt. Emanuel Rotstein hatte eingeladen auf eine Tasse Kaffee. Und dann saß man da in trauter Runde. Ich hatte meine Entscheidung sowieso schon gefällt, dass ich mitmache, als ich hörte das Tschernobyl auf dem Programm steht und dass das Bundesamt für Strahlenschutz Entwarnung gab, man könne das machen, wenn man bestimm-te Verhaltensmaßregeln ernst nähme. Dann lernte ich Fritz kennen und dachte, was für ein ange-nehmer Mensch, der sich auskennt mit einem der Stränge, die sich mit dem Programm verbinden, nämlich Urban Exploration! Und bei den Lost Places wußte ich etwas Bescheid.

 Marc Hairapetian: Wie hast du Tschernobyl damals empfunden?

 Wigald Boning: Ich machte Zivildienst in Bremen. Es gab eine WG in der Römerstraße 40, in der die Band KIXX in der ich spielte, ihr Hauptquartier hatte. Ich wohnte eigentlich woanders. Dort gab es auch Mütter mit Kindern wie das an der Ostertorstraße eben ist, so ähnlich wie in Linden in Hannover. Und diese Szene sah den Weltuntergang unmittelbar vor sich und wich von einigen Grundsätzen ab, die man bisher immer vertreten hatte. Zum Beispiel frisches Gemüse essen. Jetzt wurde auf Dose umgeschwenkt! Das war eine hysterische Stimmung. Für mich persönlich aber nicht. Ich hatte mehr einen punkigen Background. Ich fand das spannend, wirklich bedrohlich aller-dings nicht. Das kann auch ein Mangel an Empathie sein.

 Marc Hairapetian: Gab es Hypochondrie im Zeichen von Tschernobyl auch beim Dreh anno 2016?

 Wigald Boning: Ich habe mir extra Klamotten für den Dreh angezogen, die ich dann aussortieren wollte. Aber mir fällt jetzt gerade ein, dass ich die alle weiter getragen habe. Auch diese Schuhe, die ich gerade anhabe! Vorsicht also! Zum Glück war ich in der Zwischenzeit ein paar Mal mit ihnen im Regen. Es könnte schon alles abgespült sein.

 Marc Hairapetian: Gab es einen Gesundheitscheck nach Dreh?

 Wigald Boning: Nein, es gibt in Tschernobyl drei Checkpoints durch die man muss. Sie sehen aus wie Sicherheitsdetektoren am Flughafen, sind aber Geigerzähler artige Konstruktionen, sehr grobe Geräte also im altsowjetischen Stil. Einer war außer Betrieb. Es wurde auch akzeptiert, wenn man durch den geht, wie wir am dritten Tag feststellten. Ein offenkundig betrunkener Mensch vom Mili-tär, der die Autoreifen kontrollierte, schwankte mit einem großen mobilen Gerät umher. Sehr skurril das Ganze.

 Marc Hairapetian: Woher rührt dein Interesse für Geschichte?

 Wigald Boning: Mein Vater ist Hobbyforscher. Er hat ganz viel zur Erforschung unserer Heimatstadt Wildeshausen beigetragen und einige wichtige Bücher zum Thema geschrieben. Das war ein Teil meiner Kindheit, dass mein Vater im Zimmer oder Staatsarchiv Oldenburg sass und sich mit sol-chen Dingen beschäftigte. Das prägte mich. Meine frühesten Leseerlebnisse sind dann auch die Sachbücher für Kinder und Jugendliche wie "Was ist was: Erklär mir die Entdecker".

 Marc Hairapetian: Hast du Berührungsängste mit dem Pay-TV?

 Wigald Boning: Das Format ist gut und das reicht mir auch. Mehr Kriterien kenne ich da überhaupt nicht. "Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger" könnten von der Machart sowieso auch in einem öf-fentlich-rechtlichen oder privaten Sender laufen. Aber es gibt selten Produzenten, die so entschei-den können wie Emanuel Rotstein. Die Sendung hat meiner Meinung nach eine Schwäche, die ich öffentlich ansprechen möchte. Sie ist zu kurz. Und zwar nicht nur, weil man damit die Angst vor der Langeweile sichtbar macht, indem man etwas zu stark komprimiert, sondern auch weil man den Themen und den persönlichen Geschichten der Zeitzeugen nicht immer gerecht wird. Ich will das jetzt hier nicht schlecht machen. Das ist ein Luxusproblem. Umgekehrt wäre es schlimmer. Es ist nur eben manchmal sehr, sehr konzentriert.

 Marc Hairapetian: Wie ist dein Selbstverständnis als Kind der Punkbewegung?

 Wigald Boning: Ich gehöre noch zu den Selbermachern. Ich schreibe meine Bücher selber, ich ma-che die Musik auf meinen Schallplatten selber. Ich nenne sie noch so, auch wenn es heute fast keine mehr gibt.  Marc Hairapetian: Wie blickst du auf deine musikalische Zeit bei Die Doofen, dem Erfolgsduo mit Olli Diettrich, zurück?

 Wigald Boning: Das war eine schöne Zeit, musikalisch deswegen, weil sowohl Olli als auch ich zu-vor lange auf Erfolglosigkeit blicken mussten. Ich hatte mich längst vom Punk verabschiedet und Anfang der 1990er Jahre die deutsche Sprache als Gesangsprache entdeckt. Deshalb verkaufte ich von mal zu mal weniger Platten. Dann tat ich mich mit Olli zusammen. Viele fragten am An-fang: Ist das lustig gemeint, oder nicht? Wir hatten schon gelernt, wie man Erfolglosigkeit durch-steht und auf einmal versteht uns das Publikum so, wie wir uns das immer ausgemalt hatten! Ähn-lich wie bei "RTL Samstag Nacht": Das war um eine gewisse Volkspartei zu zitieren, eine "große Bandbreite", die von von Hugo Egon Bilder sehr schlau zusammengestellt wurde.

Das Interview mit Wigald Boning führte Marc Hairapetian am 10. Oktober 2016 im Kölner Residenz-Kino für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

"Wigald & Fritz - Die Geschichtsjäger" (ab 13. November 2016, immer sonntags um 21.55 Uhr auf dem Bezahlsender HISTORY, u.a. empfangbar über Sky, Vodafone, Telekom)