„Der Ozean ist meine Droge“

 

Interview mit Meeresforscher Jean-Michel Cousteau, der mit einigen Klischees über die Unterseewelt und ihre Bewohner aufräumt


Von Marc Hairapetian

Mehr als vier Jahrzehnte hat der heute 66jährige Jean-Michel Cousteau mit ungeheurem Engagement damit verbracht, Menschen aller Länder und Generationen seine Sorge um die Ozeane der Welt zu vermitteln. Schon als Siebenjähriger nahm er an Rettungsexpeditionen seines legendären Vaters Jacques-Yves Cousteau (1910 – 1997) teil. Einen Großteil seines Lebens verbrachte er an Bord der nicht minder berühmten Schiffe Calypso und Alcyone. Der Präsident der nicht-kommerziellen Organisation Ocean Futures Society (www.oceanfutures.org) produziert umweltorientierte Abenteuersendungen, TV-Specials, Multimediaprogramme für Schulen und Internetseiten, schreibt Bücher und Zeitschriftenartikel und hält öffentliche Lesungen. Nun präsentiert er Jean-Jacques Mantellos 42minütige IMAX-Dokumentation „Haie 3 D“, bei der er als Berater tätig war.

Marc Hairapetian: Was hat Ihren Vater so sehr an der Unterseewelt fasziniert? Woher rührt Ihr eigenes Interesse?

Jean-Michel Cousteau: Ich begann mit dem Tauchen als ich sieben Jahre alt war. Ich war von frühester Kindheit vom Ozean fasziniert und von dem, was in ihm lebt. Bis heute ist es für mich eine schier endlose Abenteuerreise, denn es gibt immer noch viel zu entdecken. Die Beschäftigung mit der Unterseewelt, die es in ihrer Vielfalt und Schönheit unbedingt zu erhalten gilt, ist eine Art Lebenselixier für mich geworden, das meine mittlerweile morscher gewordenen Knochen auf Trab hält. Wenn Sie so mögen: Der Ozean ist meine Droge.

MaHa: Das Tauchen ebenso?

Cousteau: Gib mir die Möglichkeit – und ich tauche sogar im Nichtschwimmerbecken des Hotels. Ich tauche überall.

MaHa: Haben Sie viel von Ihrem Vater gelernt?

Cousteau: Ja, bis heute ist er mein größtes Vorbild geblieben.

MaHa: Was ist eigentlich mit seinem Schiff, dem ausgemusterten Minensuchboot „Calypso“, das er einst vom irischen Bierbrauer Guinness geschenkt bekam, passiert?

Cousteau: Mein Vater und ich wollten die „Calypso“ eigentlich bereits 1992 zur Ruhe setzen, unter anderem auch deshalb, weil die ständigen Reparaturarbeiten zu teuer wurden und die Sicherheit der Mannschaft an Bord nicht mehr gewährleistet werden konnte. Doch wir ließen uns noch zu einer allerletzten Expeditionsfahrt im Jahr 1996 mit ihr überreden. Unglücklicher Weise sank sie dabei vor Singapur – kurz vor ihrer Rückkehr nach Frankreich. Die Versicherungsgesellschaft ließ sie bergen und brachte sie zurück zu ihrem Heimathafen Marseille, wo sie bleiben sollte. Mein Vater wollte sie der Universität schenken. Durch die Intervention meiner Stiefmutter verbot dies der Bürgermeister. Freunde brachten sie dann nach La Rochelle, wo sie bis heute ist. Sie ist im sehr schlechten Zustand und muss restauriert werden. Ich möchte sie danach am liebsten nach Südfrankreich zurückführen, damit die Öffentlichkeit auch etwas von ihr hat. Allerdings verbieten sich Publikumsbesuche, weil sie dafür einfach zu klein ist. Man könnte sie vom Hafen aus sehen und vielleicht eine Ausstellung machen mit Exponaten und Fotos.

MaHa: Haben sie ein besonderes Verhältnis zu diesem Schiff?

Cousteau: Ich wuchs auf dem Schiff auf. Mit dem zwölften Lebensjahr verbrachte ich jedes Jahr drei bis vier Monate auf der „Calypso“. Meine Eltern waren da, mein Bruder Philippe war da – es war unser zuhause. Mama und Papa lebten sogar zwei Drittel des Jahres auf ihr.

MaHa: Wie gefährlich waren die Dreharbeiten zu dem Film „Haie 3-D“, bei dem Sie als Berater fungierten?

Cousteau: Sehr, sehr gefährlich. (lacht) Nein, im Ernst, nicht übermäßig gefährlich. Haie sind keine Monster, wie uns manche Filme und andere Medien aus purer Profitgier und Sensationshascherei vormachen wollen. Und das Drehteam um Regisseur Jean-Jacques Mantello bestand nicht aus Superhelden – ich bin übrigens erst recht keiner -, sondern aus verantwortungsbewussten Filmemachern, welche die Ozeanbewohner in ihrem natürlichen Lebensrhythmus weitgehend ungestört sein lassen wollten.

MaHa: Hatten Sie nicht Spezialkäfige, um sich den Haien ungefährdet nähern zu können?

Cousteau: Nein, wir bauten lediglich spezielle Gehäuse für die hochempfindlichen Kameras. Wir näherten uns Haien und anderen Fischen im Taucheranzug.

MaHa: Können Sie die Emotionen beschreiben, die in Ihnen aufkamen, als Sie sich auf Tuchfühlung mit diesen außerordentlichen Tieren befanden?

Cousteau: Da ist keine Angst, sondern eine große Freude, nach oft stundenlanger Warterei diese Tiere zu sehen. Das war nicht gefährlicher, als wenn fremde Hunde zu ihnen kommen. Auch weiße Haie nähern sich nicht Menschen, um sie zu attackieren. Natürlich muss man vorsichtig sein, aber wenn sie nicht andere Fische mit sich führen oder aus einer Wunde bluten, droht ihnen in der Regel keine Gefahr. Die meisten Haiarten, allen voran der bis zu 18 Meter lange Walhai, der sich nur von Plankton ernährt, sind völlig harmlos. Ich schwamm mit vielen von Ihnen umher, sonst wäre ich ja jetzt nicht hier.

MaHa: Zu den faszinierendsten Aufnahmen in „Haie 3 D“ gehört die Beobachtung von ganzen Hammerhai-Schwärmen. Wo haben Sie diese seltene Ansammlung gefunden?

Cousteau: Das sage ich nicht, sonst fahren Sie noch dahin, um sie zu finden. (lacht)

MaHa: Warum setzen Sie sich derart vehement für die Erhaltung der Haie ein?

Cousteau: Wie die Löwen die Savanne, so halten Haie den Ozean sauber. Sie sorgen für ein natürliches Gleichgewicht der Natur, das in Wirklichkeit nur vom Menschen gefährdet werden kann.

MaHa: Kannten Sie den französischen Filmkomponisten Francois de Roubaix, der 1975 beim Tiefseetauchen ums Leben kam?

Cousteau: Leider nicht persönlich, sondern nur von seinen wunderbaren Soundtracks. Ich habe mit Jean Michel Jarre, der für die Dokumentationen meines Vaters und auch die meinigen atmosphärisch dichte Musik beisteuerte, engen Kontakt. Er ist auch vom Ozean fasziniert. Ist Francois de Roubaix eigentlich von Haien getötet worden?

MaHa: Soweit ich weiß, nicht.

Cousteau: Wenn Sie zusätzlich eine Geschichte an die Medien verkaufen wollen, könnten wir behaupten, er wäre von einem Hai getötet worden. Das tun Leute, wenn Sie die tatsächlichen Hintergründe nicht kennen. Ein angeblich authentischer Film wie „Open Water“, der vor kurzer Zeit in den Kinos lief, sorgte so für Schlagzeilen und Publikumsanstürme. Die wirkliche Geschichte ist, dass die Leute auf der See verloren gingen und nie gefunden wurden, Der Film zeigt es so, als wenn sie von Haien getötet worden wären.

MaHa: Und was halten Sie von Steven Spielberg „Der weiße Hai“?

Cousteau: Ich hasse diesen Film! Er hält die Leute vom Ozean fern. Die meisten dieser Filme sehe ich mir nicht an, weil sie einfach verlogen und dumm sind.

MaHa: Gibt es Spielfilme über die Unterseewelt, die Sie mögen?

Cousteau: Sicher, fast alle Jules-Verne-Adaptionen, weil sie von einer großen Imaginationskraft sind. Wir wissen, es ist nur Fiktion, „Der weiße Hai“ wollte einem glauben machen, es wäre wirklich so. Das ist ein großer Unterschied.

MaHa: Meinen Sie, das Zerrbild von den blutrünstigen Killern mit „Haie 3 D“ korrigieren zu können?

Cousteau: Wir haben nur eine kleine Geschichte über den großen Ozean gebracht und werden die Welt damit nicht total verändern. Meiner Generation wurde das Fürchten gelehrt, wenn es um diese wunderbaren Tiere ging. Es ist doch barbarisch, aus der Haut dieser Tiere Schuhe herzustellen. Jährlich fallen nur durchschnittlich zwölf Menschen Haien zum Opfer, doch 100 Millionen Haie werden von uns abgeschlachtet. Hier ist der Mensch das Monster. Wir müssen versuchen, den Massenmord an den Haien zu stoppen. Ob mit Filmen und Vorträgen, oder ganz konkret mit Protestaktionen vor Ort. Es kann sehr schnell zu spät sein: In Korsika gibt es beispielsweise kaum noch Mönchsseemöwen. Die Fischer durften sie ungehindert abschießen, weil sie angeblich die Fischbestände dezimierten.

MaHa: Nicht alle verteufeln Haie. So zählen für meine fünfjährige Tochter Haie seit „Findet Nemo!“ zu ihren Lieblingstieren.

Cousteau: Vor allem bei der jungen Generation scheint ein Bewusstseinswandel eingesetzt zu haben. Nun müssen wir noch die „Großen“ überzeugen. Spätestens seit „Findet Nemo“, bei dem ich in beratender Funktion tätig war und deshalb natürlich ein wenig voreingenommen bin, wird gezeigt, wie Haie wirklich sind: Raubtiere, aber keine Menschenfresser. Sicher, es ist einfacher, die notwendige Rettung der Elefanten zu propagieren, als Sympathien für Haie zu gewinnen. Dieses Kunststück gelang aber „Findet Nemo!“ Hier sind die Haie die „good guys“. Sie sagen: „Ich mag Fisch“ und das meint: „Ich esse keinen Fisch.“ Es ist ein wunderbarer Film mit wenigen, kleinen Fehlern, die aber nicht ausschlaggebend für die Geschichte sind. Wichtig ist seine Botschaft, um das zu kämpfen, was man liebt: ob es darum geht, als allein erziehender (Fisch-)Vater sein entführtes Kind zu suchen, oder ob man sich gegen das übermäßige Fischen wendet. Obwohl „Haie 3 D“ kein reiner Kinderfilm ist, wird er erstaunlicher Weise von ihnen sehr gern gesehen. Das macht mir, was die Rettung der Haie anbelangt, doch gewisse Hoffnung.

MaHa: Nicht nur bei der „Findet Nemo“-DVD sind Sie mit dem Kurzfilm-Bonus „Abenteuer Korallenriff“ vertreten, sondern auch bei „Spongebob Schwammkopf“. Wie kam es dazu?

Cousteau: Ich hatte keine Ahnung von „Spangebob Schwammkopf“ und Bikini Bottom, bis eines Tages zwei Nachbarskinder zu mir kamen und mich aufgeregt bedrängten: „Jean Mchel, zeig uns, wo Spongebob lebt. Wir können Bikini Bottom nicht finden.“ Neugierig geworden besorgte ich mir die Telefonnummer des Spongebob-Schöpfers und rief ihn an. Er ist ein ausgezeichneter Biologe - und wir funkten sofort auf einer Wellenlänge. Für die „Spangebob Schwammkopf“-DVD erhielt ich 15 Minuten, in der die Charaktere des Films wie Spangebob, Plankton oder die Krabben in der Realität gezeigt werden. Mit dieser Vorgehensweise kann man Kinder sehr schnell für reale Vorgänge interessieren - und das ist gut.

 

Das Gespräch führte Marc Hairapetian.