König des Surfpunk

Dick Dale Konzert am 4. November in der Markthalle Hamburg

von Jessica Riccò

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Guy Fawkes Night in Hamburg. Während alle, die cool sind, in die Große Freiheit zu Bullett for my Valentine strömen, halten einige wenige es mit Tocotronic: „Es gibt nur cool und uncool und wie du dich fühlst“. Mein Mitpublikum und ich fühlen sich wie Surfmusik an diesem Abend.

Dick Dale, unumstrittener König von allem, lädt zum Konzert. Er ist nicht nur verdammt gut, sondern vordergründig – für einen Rockmusiker – verdammt alt, im nächsten Frühling Siebzig Lenze und man munkelt von Abschiedstourneen. Wer könnte es ihm verdenken.

Herr Dale, haben Sie eine Weisheit parat?

Klar. Erinnere dich immer daran, dass es auf der Welt zu viele kluge Leute gibt. Intelligent zu sein, erschließt dir viele Möglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass auch die Entscheidungen, die du triffst, klug sind. Weisheit kommt erst mit dem Alter und Erfahrung. Und dann erst werden aus Worten sinnvolle Taten.

Als ich das letzte Mal Dick Dale sah war er 64, ich 16 und ich hätte meine Plattensammlung darauf verwettet, nie einen Musiker seiner Größenordnung persönlich zu sprechen. Es war damals das erste richtige Konzert wie es sich gehört: Harter, ehrlicher Rock und wie ein guter Porno frei von überflüssigen Inszenierungen. Viel zu spätes nach Hause kommen, Elternfragen über die Freunde, die einen bitte dort mit hinschleppen mussten, Katerstimmung in der Schule und doch war das alles das kleine Autogramm und den großartigen Abend wert.

Wo und wann fing Ihre Musik an?

Ich habe mit Schlagzeugspielen angefangen als ich etwa vier Jahre alt war. Später spielte ich Klavier und Trompete. In der Grundschule bekam ich eine Ukulele und spielte Sachen von meinem Onkel nach, einem Oud'-Spieler. Seine libanesische Musik hat mich stark beeinflusst, aber ich habe bald gemerkt, dass Frauen es besser finden, wenn ich sie einen Tick schneller spiele.

Jetzt bin ich 21 und viel abgeklärter!

Autogramme sind für Kinder, den letzten Bus, den krieg ich noch und überhaupt bin ich zu alt für die erste Reihe. Heute erst fällt mir auf, dass Dick Dale doch ein Chauvi bis ins Mark ist: Zollt man seinem virtuosen Spiel eine Sekunde mal nicht die volle Aufmerksamkeit, ignoriert er auch gerne das Publikum. Abgenutzte Plecs kriegen die Jungs, Luftküsse die Mädchen.

Woran glauben Sie?

Ich habe mich mit allen Religionen und Philosophien auseinander gesetzt, besonders als junger Mensch war ich auf einer rastlosen Suche. Obwohl katholisch erzogen, fühlte ich mich nirgends angekommen. In jedem Glauben fand ich früher oder später ein gewisses Maß an Bullshit. Bis auf einen. Mein Gott heißt „Buddha“.

Buh-da.“, mit den Fingern als Anführungszeichen. Er sagt es ironisch.

Dick spielt eine Stunde, Misirlou, Peppermint Man, The King of Surf Guitar. Eine weitere halbe Stunde, der letzte Bus fährt aber das ist es wieder wert, Hava Nagila, Let's go trippin'. Sein Bassist Sammy Odelle und der Drummer Dusty Watson unterscheiden sich in ihrem Erstaunen über Dick Dales Fähigkeiten kaum vom Publikum.

Bitte erklären Sie das mit Buddha doch näher.

Das bedeutet bloß „weiser Mann“. Und mir imponierte, wie er sagte „Wenn du mir folgst, werden dir die Leute die Füße küssen und dich ehren.“ Arme Leute werden immer jammern, es wird immer die Bösen geben, die gewinnen. Dazu wollte ich nicht zählen, ich wollte zu den anderen gehören, zu den Gewinnern.

Innere Genervtheit drängt sich auf. Die kleine, toughe Thea Dorn in meinem Stammhirn flüstert mir zu, dass es auf der Stelle Zeit zu gehen sei. Klar, Dick Dale hat seine Portion Weisheit vom Schicksal im Laufe der Jahre schon abbekommen. Aber ebenso Grammynominierungen, einen Sohn, ein echtes John Peel Interview und natürlich DEN Song aus Pulp Fiction.

Sagt sich das nicht sehr leicht, wenn man ausgesorgt hat und kerngesund ist?

Nein, da hast du mich falsch verstanden. Buddha starb alleine unter einem Baum. Trostlos. Dennoch wusste er sein Leben lang, dass es keine Gefahr gibt, die er nicht bewältigen kann. Das wollte ich nachahmen. Du bist nur so lange arm, wie du dich selbst als arm siehst. Es gibt keine Hindernisse, wenn du aufhörst, an dir zu zweifeln.

Dankeschön. Ist das eigentlich okay, wenn ich aus unserem Gespräch ein Interview baue?

Was?? Dick Dale gibt nie Interviews. Ich schreibe auch meine Rezensionen selbst. Obwohl. Junge Dinger. Ah. Whatever. Go on.

Danke. Bei meiner Rückkehr aus dem Backstagebereich surfe ich auf meine Freunde zu. „Jessica, bist du nicht ein bisschen zu alt, um mit Rockmusikern zu flirten?“ „Nee,“ lüge ich. „Aber das Jahrzehnt Weisheit war’s wert.“