Sally Potter

"Filmen ist wie Tanzen"

Ein Gespräch mit "Yes"-Regisseurin Sally Potter


Von Marc Hairapetian

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Marc Hairapetian: Ihre sowohl inhaltlich wie formal ungewöhnliche Liebesgeschichte "Yes" zwischen einer nordirischen Amerikanerin und einem armenischen Libanesen schlägt eine Brücke zwischen Okzident und Orient. Wie ist Ihre Beziehung zum Libanon und der armenischen Bevölkerung dort?

Sally Potter: Vor allem eine neue. Die Idee zum Film entstand kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Für mich war das zunächst der Versuch, der nun einsetzenden Dämonisierung der arabischen Welt im Westen und den andererseits zunehmenden Hass gegen die USA im arabischen Raum etwas entgegenzusetzen. Simon Abkarian gab ich erste Szenen, die ich geschrieben hatte, zu lesen. Mit ihm bereiste ich später auch den Libanon. Ich las parallel fast alles vom größten Dichter des kleinen Landes, Khalil Gibran, redete mit Simon aber auch viel über seine Geschichte als Armenier im Libanon. Sein Mitwirken in Atom Egoyans ungeheuer lehrreichen Film "Ararat" hat mich tief beeindruckt. Das Christentum der Armenier und der Völkermord durch die Türken war aber für mein filmisches Konzept weniger relevant. Bei "Yes" lasse ich ja Simons Religion eher offen. Die meisten Zuschauer denken wohl sogar, dass der bewusst namenlose "Er", den er bei mir spielt, Mo! slem sei. Das "Pulverfass" Libanon selbst fasziniert mich als Schmelztiegel verschiedener Kulturen, indem ein Miteinander zumindest immer wieder möglich scheint.

MaHa: War es Ihr Anliegen, dem Publikum eine besondere Botschaft zu übermitteln?

Potter: Nein, ich würde sogar eher das Gegenteil behaupten. Ich mag es nicht, das Publikum in seinen Gefühlen zu bevormunden, sondern möchte eher Raum dafür schaffen, das zu fühlen, was immer es fühlen möchte. Mündige Zuschauer sind mir lieber, als solche die meine Filme unkritisch bejubeln. Die Geschichte ist natürlich von meinem Betrachtungswinkel aus geschrieben, aber ich möchte in der Rezeption Platz lassen für Betrachtungswinkel, die nicht die meinigen sind.

MaHa: "Das Publikum ist mein Lehrer", sagten Sie einmal.

Potter: Sagen wir es lieber so: Das Publikum lehrt mich das, was ich tat. Beim ersten Mal, wenn ich einen Film dem Publikum präsentiere, denke ich immer "Oh, mein Gott". Die Reaktionen relativieren manchmal auch meinen Standpunkt. Nochmals zum Thema "Botschaft"; vielleicht gibt es doch eine ganz schlichte: Bei all der nicht enden wollenden Gewalttätigkeit ist die Sehnsucht nach einer Konversation zwischen der arabischen und westlichen Welt da. Ein Grundthema von mir ist auch die Komplexität und Kompliziertheit von menschlichen Beziehungen - so wie bei den von Joan Allen und Simone Abkarian verkörperten Charakteren. Sie, die wiederum von ihrem Ehemann betrogen wird, beginnt vor allem deshalb eine Affaire mit ihm, weil sie von seiner "Fremdheit", seinem "Anderssein" fasziniert ist, doch gerade das bringt auch Probleme mit sich.

MaHa: Die sehr gute deutsche Synchronisation von "Yes" behält das jambische Versmass der Dialoge bei. Hatten Sie darauf Einfluss?

Potter: Nein, ich hatte keine Zeit und außerdem haben es die meisten Synchronregisseure nicht gern, wenn man sie im Tonstudio kontrolliert. Es gibt gute und schlechte Übersetzungen. Meine Filme laufen in bis zu 65 Ländern - und deshalb kann ich nicht überall die Synchronisation oder Untertitelung überwachen. In der deutschen Synchronfassung scheint die bewusste Beiläufigkeit der jambischen Verse beibehalten worden zu sein. Wie im Original gewöhnt sich der Zuschauer schnell an diesen Kunstgriff, da die Akteure beim Sprechen auf den Inhalt der Dialoge und nicht auf die Reimform an sich achten sollten.

MaHa: Würden Sie dem zustimmen, dass "Yes" ein realistisches Gedicht ist?

Potter: Yes! Ein Gedicht oder ein Lied. Es ist in jedem Fall Fiktion. Der Film soll nicht ein Abbild der Wirklichkeit sein. Ähnlichkeiten sind aber ausdrücklich erwünscht.

MaHa: War "Yes" von Anfang an als Film geplant?

Potter: Richtig. Er sollte der kinematographischen Grammatik folgen und trotz der Reime nicht theatralisch wirken, denn das wäre der Kuss des Todes gewesen. Ganz wichtig dafür ist die Bewegtheit der Kamera.

MaHa: Ist es schwer für Sie, solch ambitionierte Projekte finanziert zu bekommen?

Potter: Und wie. Bei der Filmfinanzierung schlägt den Independent-Filmemachern ein äußerst rauhes Klima entgegen. Was zählt ist das Einspielergebnis und neue Vermarktungsformen. So brachte Steven Soderbergh einen seiner Filme zeitgleich zum Kinostart auf DVD heraus. Das macht es nicht nur mir, sondern auch Leuten wie Jim Jarmush, der den gleichen Agenten wie ich hat, schwer. Bei "Yes" nahmen Schauspieler und Stab lange Verzögerungen bei der Bezahlung hin. Es war tatsächlich Idealismus, der diesen Film entstehen liess.

MaHa: Sie haben "Yes" schon auf diversen Festivals - u.a. auf der letzten Berlinale - gezeigt. Wie waren die Reaktionen in anderen Ländern?

Potter: Die Publikumsreaktionen waren bei diesem Film überall sehr emotional, ob es sich um Männer oder Frauen, jung oder alt, handelte. Es wurde gelacht und geweint, besonders in Griechenland, der Türkei und Armenien, wo Simon Abkarian "Yes" beim Festival in Jerewan vorstellte. Der Film scheint zu den Menschen zu sprechen - und sie sprechen durch die extra eingerichtete Website www.yesthemovie.com zu ihm zurück. So ist es ein bis heute beständiger Dialog der Zuschauer mit dem Film und seinen Machern. Das ist fast so schön wie beim Theater, wo die Schauspieler ein direktes Feedback vom Pulikum bekommen.

MaHa: Die Produktionszeit Ihrer Filme ist immer sehr lang. "Orlando"-Titelheldin Tilda Swinton meinte, sie würde zwar das intensive Arbeiten mit ihnen lieben, doch beim Betrachten des Endresultats wäre sie enttäuscht. Es käme letztendlich zuwenig dabei heraus. Verärgert Sie das?

Potter: Nein, ich bin sehr selbstkritisch mit meinem Werk und frage mich auch immer wieder: Ist das alles? Sobald ein Film von mir hinaus in die Welt zieht, plagen mich Zweifel und ich denke mir, dies oder jenes hättest du vielleicht besser machen können.

MaHa: Sie arbeiteten lange Zeit auch als Tänzerin. Hilft Ihnen dieser Erfahrungsschatz, Filmszenen zu arrangieren?

Potter: Ja, Filmen ist wie ein Tanz - und Tanzen ist ein gutes Training, um viele andere Sachen zu machen, weil es dich lehrt, wie langsam kreative Prozesse sein können. Schritt für Schritt kommt man zum Ziel. Beim Tanzen sind Konzentration und Disziplin unabdingbar, auch wenn man mehr Lust oder Inspiration hat. Das kann man auch auf das Filmemachen übertragen, diesen Tanz des Lebens. Es ist gut, seine eigene Physikalität zu spüren. Beim Tanzen UND Filmen.

MaHa: Sie haben auch die Originalmusik zu "Yes" komponiert und produziert.Wo nehmen Sie all die Energie her?

Potter: Energie ist nicht das Problem, wenn du Sachen machst, die du wirklich liebst. Zeit ist viel eher das Problem.

Das Gespräch führte Marc Hairapetian.

www.yesthemovie.com